2008 trafen sich Ungarns Sicherheitschef und der „Pate“ der Unterwelt, um den regierenden Sozialisten gegen konservative Politiker zu helfen

Budapest. Am 23. Juni 2008 traf Ungarns damaliger Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit, Sándor Laborc mit Tamás Portik einen Mann, den er eigentlich jagen oder zumindest durchleuchten sollte. Portik galt als König der ungarischen Unterwelt, als Meister dunkler Geschäftemacherei, mit besten politischen Verbindungen. Wie gut die Verbindungen waren, geht vielleicht am besten daraus hervor, dass er den damaligen Geheimdienstminister György Szilvásy über einen Mittelsmann um ein vertrauliches Gespräch bitten ließ. Der Geheimdienstminister wollte sich jedoch nicht selbst darauf einlassen, schickte aber Laborc.

Nach Angaben der den damals regierenden Sozialisten nahestehenden Zeitung „Népszabadság“ war der Grund für das Treffen, dass Portik Informationen über korrupte Polizisten an den Geheimdienst liefern wollte. Portik fühlte sich von der Polizei regelrecht verfolgt. Was einen Mann wie ihn eigentlich nicht wundern sollte. Seltsamer schien, dass der mutmaßliche König der Budapester Unterwelt sich an den Geheimdienst wandte, um über die Polizei zu klagen. Der Hintergrund dafür war eine politische Frontstellung innerhalb des Sicherheitsapparats: Polizeichef Sándor Pinter galt als Mann der damals oppositionellen Konservativen. Tatsächlich ist er heute in der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán Innenminister. Portik klagte, dass er aus politischen Gründen unter Druck stehe: Pinter habe den Verdacht „dass ich viele Dinge über die Linken weiß“.

Im Gegensatz dazu schien Portik davon auszugehen, dass der Geheimdienst links stand. Und das war der eigentliche Grund, warum er das Gespräch suchte. Er bot Laborc eine politische Zusammenarbeit an, um die Linke zu stärken und die Rechten zu schwächen. Denn wenn Fidesz und Viktor Orbán an die Macht kämen, so fürchtete er, dann sei er erledigt. Das stimmte auch: Er sitzt gegenwärtig im Gefängnis, und die Anklage wirft ihm vor, einen Mord in Auftrag gegeben zu haben.

Laborc zeichnete das Gespräch auf, und auch ein zweites Gespräch drei Tage später. Die CDs sammelten danach im Archiv Staub an. Dann gewannen die Konservativen die Wahlen, aus dem Geheimdienst wurde der neu benannte Verfassungsschutz, und der stieß 2012 im Archiv auf das Dossier. Aber erst jetzt wurde es zugänglich gemacht: Das Amt für Verfassungsschutz hob die Geheimhaltung der Akten auf, und die Abschriften der Tonbänder wurden jetzt auf der Webseite des Parlamentsausschusses für Nationale Sicherheit veröffentlicht.

Dem Transskript zufolge bot Portik dem Geheimdienstchef offen eine Zusammenarbeit an, denn „ich kann gut mit den Linken“. Der unter den Sozialisten sehr schnell und sehr jung mit dubiosen Ölgeschäften reich gewordene Portik sagte: „Wir müssen Ministerpräsident (Name durchgestrichen, aber es war damals Ferenc Gyurcsány) in seinem Amt festigen oder zumindest die MSZP“ (sozialistische Partei). Konkret schlug er dem Geheimdienstchef zunächst vor, über von ihm betriebene Webseiten – die seinen Angaben zufolge von einer halben Million Menschen genutzt würden – für die Sozialisten zu werben.

Portik galt als meisterhafter Bestecher von Amtsträgern, und indirekt kam er darauf zu sprechen: Nie habe jemand darüber geklagt, dass er zum Teil persönlich das Geld diversen Leuten brachte. Die den Sozialisten nahestehende Zeitung „Népszabadság“ unterstreicht an dieser Stelle, dass es sich bei den Bestochenen um Sozialisten gehandelt habe. Und nie, so fuhr Portik fort, habe jemand davon erfahren. „Das müsste doch als eine Art Gewähr gelten, oder?“ Dennoch schnüffele ihm die Polizei hinterher. Laborc, der Geheimdienstchef, reagiert zunächst mit einem „Mhm“, und sagt: „Na ja, ich denke – dass man auch dorthin ein wenig Geld hätte geben könne, und dann…“ Darauf Portik, der versteht, dass mit „dorthin“ die Konservativen gemeint sind: „Aber dorthin wollte ich nichts geben.“

Nachrichten aus der Vergangenheit sind wie ein Nackenschlag für Sozialisten

Und dann tritt Laborc mehr oder minder offen als Besteller für schmutzige Informationen über die Konservativen und ihre Medien auf. „Mich würde jetzt vor allem interessieren, wie jene Medien, welche sich zurzeit als Gerechtigkeitsverfechter aufführen, warum, aus welcher Veranlassung heraus, mit welchem Geld, aufgrund welcher Versprechungen (…) das Land in die Irre führen.“ Beim zweiten Treffen, drei Tage später, sagt Laborc, Geheimdienstminister Szilvásy habe ihm „freie Hand“ gegeben, „es gibt keine Tabus“, und wenn Portik mit Informationen dienen könne, werde man sie „nicht in die Besenkammer stecken“. Es gehe ihm vor allem um nachweisbare Versuche, Entscheidungsträger zu beeinflussen.

Am Ende ist nie etwas daraus geworden. Es gab keine sensationellen Enthüllungen über korrupte Konservative. Portik mag kalte Füße bekommen haben, denn sehr rasch wurde in den nächsten Monaten klar, dass ein konservativer Wahlsieg kaum noch zu verhindern war. Wenn er mit schmutzigen Tricks gegen die späteren Sieger vorging, dann, so mag er gedacht haben, wehe ihm. Ihre eigentliche Wirkung entfaltet die Affäre erst jetzt. Es herrscht Vorwahlkampf in Ungarn, und trotz aller Kritik im Ausland an der Regierung Orbán erfreut sich diese weiterhin der Unterstützung einer Mehrheit der Wahlbürger.

Die Sozialisten hingegen treten in Umfragen auf der Stelle, bei gegenwärtig 15 Prozent. In einem persönlichen Duell gegen Orbán würde MSZP-Chef Attila Mesterházy allen Umfragen zufolge deutlich verlieren. Die Linken sind in der Krise, können sich mit anderen Oppositionsparteien nicht einigen, finden keinen gemeinsamen Spitzenkandidaten, haben kein Programm und keine Themen für den Wahlkampf.

Die Nachrichten aus ihrer Vergangenheit kommen daher wie ein Nackenschlag für die Sozialisten, die in den Augen vieler Bürger ohnehin bis zu ihrer Abwahl 2010 als die korrupteste politische Clique galten, die das Land jemals hatte. Parteichef Mesterházy sah sich gezwungen, sich von Laborc zu distanzieren, und betonte, „niemals“ würden die Sozialisten ein Verhalten wie das seine gutheißen. Die noch direkter betroffene, von den Sozialisten abgespaltene Splitterpartei Demokratische Konvention unter Führung des damaligen Regierungschefs Ferenc Gyurcsány nennt das Ganze eine „Manipulation“. György Szilvásy, der damalige Geheimdienstminister, versuchte die Angelegenheit im linken Radiosender Klubradio herunterzuspielen – Laborc habe nur seine Aufgabe getan, nach Informationen über korrupte Beamte zu forschen.