Enrico Letta soll Regierung bilden. Koalition mit Berlusconi und Monti erwartet

Rom . Enrico Letta soll es richten: Der Vizechef der Demokratischen Partei (PD) ist knapp zwei Monate nach den italienischen Parlamentswahlen am Mittwoch mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt worden. Der 46-Jährige gilt als umsichtig und moderat. Trotz seines für Italiens Führungselite recht geringen Alters – Staatspräsident Giorgio Napolitano ist 87 – blickt Letta bereits auf umfangreiche politische Erfahrung zurück.

Letta selbst zeigte sich überrascht davon, dass Präsident Napolitano ihn mit der Regierungsbildung beauftragte. Er nehme das Mandat an, spüre aber eine schwere Verantwortung auf seinen Schultern, sagte Letta. Italien befinde sich in einer sehr schwierigen und zerbrechlichen Situation. Das könne so nicht weitergehen. Die Regierung müsse Antworten finden bei den Themen Arbeitslosigkeit, Armut und der Krise der kleineren Unternehmen. Schließlich warte Italien bereits seit 60 Tagen auf eine neue Regierung. Letta mahnte auch eine Reform des Wahlrechts in seinem Land an. Die politischen Kräfte müssten die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, um die Krise in der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone zu bewältigen, sagte er. In seiner ersten Stellungnahme nach seinem Gespräch mit Napolitano am Mittwoch kritisierte er die europäische Sparpolitik zur Bekämpfung der Euro-Krise.

Letta will am Donnerstag Gespräche zur Bildung einer breiten Koalition aufnehmen. Bis Anfang kommender Woche könnte seine Regierung im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Die neue Regierung wird vor allem von Lettas PD und dem Mitte-rechts-Bündnis von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi getragen werden. Aber auch das Bündnis Bürgerliche Wahl des bisherigen Regierungschefs Mario Monti hatte bereits erklärt, es werde jeden Regierungschef unterstützen, den Napolitano vorschlage. Eine Koalition werde aber nur zustande kommen, wenn die Bedingungen dafür stimmten, sagte Letta. Er werde keine Regierung „um jeden Preis bilden“. Er betonte auch, die Europäische Union habe sich zu sehr aufs Sparen konzentriert und müsse mehr tun, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Mit seiner Entscheidung für Letta bemüht sich Präsident Napolitano auch um einen Generationswechsel. Der 46-Jährige wäre der zweitjüngste Regierungschef in Italien seit dem Zweiten Weltkrieg. Er ist Abgeordneter, steht für einen pro-europäischen Kurs und gilt als gemäßigt. Im Ausland und an den Märkten dürfte er positiv aufgenommen werden. Der neuen Regierung werden wohl Politiker und Technokraten angehören.

1966 in Pisa zur Welt gekommen, studierte Letta in seiner Heimatstadt Politikwissenschaften und internationales Recht. Seine erste politische Rede hielt er nach eigenen Angaben in seiner Studienzeit auf einer Demonstration gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan. In den 90er-Jahren war Letta Vorsitzender der Jungen Christdemokraten. Mit Anfang 30 machte ihn der damalige Regierungschef Massimo d'Alema 1998 zum Minister für Europäische Angelegenheiten. Ein Jahr später übernahm Letta das Industrieressort. 2004 wurde Letta ins Europaparlament gewählt und vertrat dort das Mitte-links-Bündnis L'Ulivo. Bereits 2006 kehrte er jedoch in die italienische Politik zurück und übernahm einen hohen Staatssekretärsposten in der Regierung von Romano Prodi. Die gleiche Position hatte zuvor sein Onkel Gianni Letta unter Ministerpräsident Berlusconi innegehabt. Gianni Letta ist ein Vertrauter Berlusconis. Die Verwandtschaft könnte es seinem Neffen erleichtern, mit Berlusconis konservativer Partei Volk der Freiheit (PdL) eine Koalition zu schmieden. Seine Bereitschaft zu einem solchen Bündnis hat Enrico Letta bereits kundgetan, auch wenn er in der Vergangenheit Berlusconi deutlich kritisierte. In seiner eigenen Partei ist Letta durch die Rücktrittserklärung von PD-Chef Pier Luigi Bersani faktisch an die Spitze gerückt.

Letta hat mehrere Bücher veröffentlicht. Eins trägt den Titel: „Eine Kathedrale bauen – warum Italien wieder groß denken muss“. Der dreifache Vater, der zum zweiten Mal verheiratet ist, beschreibt sich selbst als „post-ideologisch“. In moralischen Fragen vertritt der Katholik eher konservative Ansichten, in wirtschaftlichen Fragen gilt er indes als gemäßigt. Wie seine gesamte Partei unterstützte Letta die Expertenregierung von Mario Monti und deren Reformen. Enrico Letta, der privat gern Musik der britischen Rockband Dire Straits hört, nennt die Friedensnobelpreisträger Lech Walesa aus Polen und Nelson Mandela aus Südafrika als Vorbilder.