Die ehemalige US-Außenministerin hat ein Buch über ihre Kindheit geschrieben. Joschka Fischer hat mit ihr darüber in Berlin geredet

Berlin. Madeleine Albright ist, will man untertreiben, eine in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Frau: klug, weise, aber auch schlau und durchsetzungsfähig. Die erste Frau, die Außenministerin der USA wurde, hat ein umfangreiches Buch über ihre Jugend in Prag geschrieben. Das Erscheinen der deutschen Übersetzung haben ihr Verlag Siedler, die Bertelsmann Stiftung und die American Academy Berlin zum Anlass genommen, die Autorin einzuladen und mit Joschka Fischer über ihre Erinnerungen diskutieren zu lassen.

Was für ein Leben! Marie Jana Korbelová wird 1937 in Prag geboren, der Vater Diplomat. Sie lernt und fühlt, dass die Tschechoslowakei, 1918 von dem legendären Tomás G. Masaryk gegründet, ein guter und freiheitlicher Staat ist, auf den man stolz sein kann. Doch nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht muss die Familie nach England emigrieren – in das bewunderte Land, das doch zugleich den im Ersten Weltkrieg erbrachten Opfern der Konfrontation und des Krieges müde war und in seiner Appeasementpolitik die Lektion der Freiheit für einen wichtigen Moment vergaß.

Nach Hitlers Ende kehrt die Familie tatendurstig zurück, drei Jahre später muss sie vor dem anderen Totalitarismus, dem kommunistischen, fliehen, diesmal in die USA. Madeleine Albright – Professorin, Uno-Botschafterin, Außenministerin, Autorin – versinnbildlicht mit ihrem Lebenslauf wie wenige eine grundlegende Erfahrung des 20. Jahrhunderts. Die Erfahrung, dass Freiheit schön ist, dass sie bedroht sein kann, dass es sich lohnt, für sie zu kämpfen, und dass Amerika und Europas Osten viel mehr miteinander zu tun haben, als einst den Fibeln der Entspannungspolitik zu entnehmen war. Madeleine Albright müsste vor den knapp 250 Gästen in der rekonstruierten ehemaligen Stadtkommandantur einfach nur erzählen. Genau so, wie es in ihrem Buch („Winter in Prag. Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg“) getan hat. Was für ein Stoff allein die Geschichte, dass die katholisch Erzogene erst im Alter von 59 Jahren und kurz vor ihrer Ernennung zur Außenministerin der USA erfuhr, dass sie Jüdin ist – die Eltern hatten es ihr nie erzählt.

Joschka Fischer wäre eigentlich der Richtige gewesen, sie nach ihrem Leben zu befragen, dessen Amplituden viel weiter ausgeschlagen haben als bei ihm selbst. Als Fischer 1998 gerade deutscher Außenminister geworden war und in Washington, Rambouillet und anderswo über den Kosovo-Krieg zu verhandeln hatte, konnte die Welt am Fernseher miterleben, wie Frau Albright, den einstigen Flegel und außenpolitischen Neuling an die Hand nahm. Sie ist es wohl gewesen, die Fischer jene Lektionen gab, die es ihm ermöglichten, sich sicher auf dem diplomatischen und dem Kriegsparkett zu bewegen.

Hätte Fischer doch nur auch Unter den Linden wieder den Schüler gegeben. Auch er kommt aus einer Flüchtlingsfamilie, hat sich spät mit dieser Seite europäischer Geschichte des 20. Jahrhunderts befasst. Die beiden hätten wunderbar über die Werkstätten, die Verblendungen, die Täuschungen, Verführungen, Einsichten, Tragödien und unerwarteten Chancen dieses doch langen Jahrhunderts reden können – hier die früh Belehrte, dort der später Belehrte.

Doch das lassen weder die Regie der Veranstaltung noch Fischers Temperament zu. Der Texaner Gary Smith, Leiter der American Academy, brach die Buchvorstellung ab, bevor Madeleine Albright richtig loslegen konnte. Um den erstaunlich lange schweigenden Fischer in das Geschehen zu integrieren, bringt er das Ereignis, das Albright und Fischer zusammenbrachte und zu Freunden werden ließ, auf die Tagesordnung: den Kosovo-Krieg. Und sofort wird das Ganze zu einem außenpolitischen Proseminar. Durchaus plausibel rechtfertigte Fischer den damals wie heute heftig kritisierten Krieg mit der schlauen Gegenfrage, wie es heute wohl auf dem Balkan ohne den Krieg aussähe. Schlechter natürlich, die Furie des Nationalismus ginge weit heftiger um, als sie es noch immer tut. Nicht zu vergessen: Ohne die Anwesenheit der Bündnistruppen im Kosovo hätte Mazedonien zum Pulverfass werden können und Bulgarien, Griechenland, die Türkei unversöhnlich auf den Plan gerufen.

Und Fischer, der inzwischen Monat für Monat seine trockenen außenpolitische Ceterum-censeo-Prosa in der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht, gibt sich am Ende vor allem skeptisch: Die Risiken militärischer Interventionen im Interesse der Menschenrechte seien in aller Regel unverhältnismäßig hoch, es gebe – siehe Syrien – in aller Regel „only bad options“ (nur schlechte Möglichkeiten).

Und dann sein Mantra. Es spricht der Mahner, der anders als Krethi und Plethi im Besitz höheren Wissens ist: mehr europäische Integration, die nationalistisch getriebene Konfrontationsstimmung sei die größte Gefahr für den Kontinent. Düster, alternativlos und recht freudlos. Joschka Fischer tut sich keinen Gefallen damit, als Staatsmann und Weltendeuter aufzutreten. Es ist Madeleine Albright, die sich am Ende der Veranstaltung noch einmal in lichtere Gefilde aufschwingt. Auf Vaclav Havel angesprochen, vergegenwärtigt sie in wenigen Strichen den Charme, der einst von der Samtenen Revolution der Dichter und Heizer ausgegangen war. Nach einer Begegnung mit ihm habe sie die Prager Burg verlassen, und auf der Brücke über die Moldau hatte sie „plötzlich das Gefühl, ich sei nie aus Prag weg gewesen“.

Und sie preist Havel dafür, dass er die Größe hatte, sich im Namen seines Volkes für die Verfolgung und Ermordung von Deutschen nach 1945 zu entschuldigen.