Chávez Ziehsohn gewinnt nur knapp in Venezuela. Dem Land drohen stürmische Zeiten. Herausforderer Capriles ist überzeugt: „Dieses Ergebnis spiegelt nicht die Wahrheit in diesem Land wider“.

Caracas. Enttäuschung macht durstig. Bevor Henrique Capriles gegen Mitternacht zu den Journalisten spricht, verlangte er nach einem Glas Wasser. „Stimmen haben wir genug, aber kein Wasser“, kommentiert ein Anhänger des Kandidaten des bürgerlichen Lagers sarkastisch. Dann wird es leise. Es sind klare und deutliche Worte, die Capriles findet: „Ich bin ein Kämpfer, ein Krieger“, sagt er und hebt den Zeigefinger bedrohlich in die Höhe.

„Wir werden das Ergebnis so lange nicht anerkennen, bis nicht alle Urnen geöffnet und alle Stimmen ausgezählt werden“, fordert Capriles eine transparente und öffentliche Neuauszählung. „Wenn Sie alle Schwierigkeiten des heutigen Tages zusammenzählen, dann haben wir eine andere Sicht. Dieses Ergebnis spiegelt nicht die Wahrheit in diesem Land wider“, sagt er mit kreidebleicher Mine und hält einen Stapel Papier voller Meldungen über Unregelmäßigkeiten in die Höhe.

Nicolas Maduro, der Wunschkandidat des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez, hat nach offiziellen Angaben mit 50,56 Prozent die Präsidentschaftswahlen hauchdünn gewonnen. Sein Herausforderer Henrique Capriles hat zwar mit 49,07 Prozent das beste Ergebnis der Opposition seit Beginn der sozialistischen Revolution vor mehr als 14 Jahren eingefahren, aber es ist ein wertloser Sieg, denn er zwingt ihn zu weiteren sechs Jahren Opposition.

Den ganzen Tag über hatten Anhänger der Opposition in den sozialen Netzwerken über Manipulationen und Unregelmäßigkeiten berichtet. Die Polizei habe durch weiträumige Absperrungen in Capriles-Hochburgen die Menschen an der Teilnahme gehindert, heißt es. Die Sozialisten hätten die Urnen in Hochburgen des Maduro-Lagers platziert. Bewaffnete motorisierte Anhänger der Regierung hätten Capriles-Wähler eingeschüchtert. Es sind schwerwiegende Anschuldigungen, deren Aufklärung das Capriles-Lager fordert. Doch wer soll die Vorwürfe prüfen, die Justiz, die politischen Institutionen, die Polizei, das Militär, alle Institutionen sind fest in sozialistischer Hand. Eine dritte von Opposition und Regierung wirklich unabhängige Stelle gibt es nicht. Der offizielle Wahlgewinner Maduro beeilte sich schon Minuten nach der Wahl, alle Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ergebnisses auszuräumen. „Die Wahl ist gerecht und verfassungsgemäß verlaufen“, sagt der ehemalige Gewerkschaftsführer und würdigte „unser absolut vertrauenswürdiges Wahlsystem“. Maduro wirkt wie Capriles müde und blutleer, der kurze Wahlkampf hat alle Kräfte gefordert. Kein Vergleich zu den charismatischen Siegesfeiern eines Hugo Chávez. Der muss dafür herhalten, die Nationalhymne vom Band zu singen und die Revolution zu feiern. Begeisterung, die aus der Konserve kommt.

Fünf Köpfe zählt der staatliche Wahlrat CNE, der eigentlich unabhängig sein soll. Vier Kommissionsmitglieder stehen den Sozialisten nahe, Vicente Diaz gilt als der einzige Vertreter der Opposition. Am Abend sitzt er allein und einsam auf dem Podium, dass er sich normalerweise mit vier Frauen teilt. „Es gab Unregelmäßigkeiten“, sagt er und fordert eine Neuauszählung, um der venezolanischen Familie die Ruhe zu ermöglichen, die es verdiene. Seine Kolleginnen sehen das anders, sie sprechen von einem reibungslosen Ablauf der Wahl

Wenig später rufen Teile der Opposition zu Protestkundgebungen auf. „Betrug, Betrug“, rufen die Capriles-Anhänger, die sich auf der Straße treffen. Mit Kochlöffeln und Töpfen versuchen sie den Klangteppich zu übertönen, den zuvor ein offizielles Feuerwerk der Sozialisten aus Anlass des Wahlsieges über Caracas gelegt hat. Rund 7,2 Millionen Stimmen haben sie mutig werden lassen, ihr Recht auf angemessene politische Präsenz zu fordern. 700.000 Stimmen hat Capriles dem von einem gewaltigen staatlichen Macht- und Medienapparat unterstützten Maduro abgenommen. Am Ende fehlten 230.000 Stimmen, wenn denn alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

Mit seiner Weigerung, das Ergebnis anzuerkennen und eine transparente Auszählung zu verlangen, bringt Capriles den offiziellen Wahlsieger in die Defensive. Der hat nicht nur massive Stimmeneinbußen zu verkraften, sondern muss nun auch mit dem Makel des Verdachts einer Manipulation in seine erste schwierige Amtszeit gehen, wenn er den Forderungen nicht nachgibt. Das neue Selbstbewusstsein der Opposition wird Maduro noch lange verfolgen, erstmals seit Beginn der sozialistischen Ära begegnen sich beide Lager auf Augenhöhe. Das zu akzeptieren wird Maduros erste Nagelprobe. Tut er das nicht, drohen Venezuela stürmische Zeiten.

Glückwünsche kamen von befreundeten Regierungen in Südamerika. „Ruhm für das tapfere venezolanische Volk, das das Joch besiegt hat. Glückwunsch Präsident Maduro“, twitterte Ecuadors Staatschef Rafael Correa. Und Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner schrieb: „Glückwünsche an den neuen Präsidenten Nicolas Maduro. Andenken und Dankbarkeit für immer an den Freund und Genossen Hugo Chávez.“ Der russische Präsident Wladimir Putin gratulierte ebenfalls. Moskau und Caracas sind enge Partner. So ist Venezuela einer der wichtigsten Käufer russischer Waffen. Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko lud Maduro in sein Land ein. Dort werde die Zusammenarbeit und Freundschaft beider Länder sehr geschätzt, ließ er mitteilen.