Staatsakt für die „Eiserne Lady“ am Mittwoch. Anhänger wollen ihr ein Denkmal setzen, Gegner überziehen sie unterdessen mit Spott und Hass.

London. „Ding, dong, die Hexe ist tot! Welche Hexe? Die böse Hexe!“ Gerade einmal 53 Sekunden ist das harmlose Kinderlied kurz und ganze 80 Jahre alt. Jung genug, um in Großbritannien die Gemüter nach dem Tod von Margaret Thatcher am vergangenen Montag noch weiter anzuheizen. Thatcher-Hasser haben den Song aus dem „Zauberer von Oz“ mitilfe sozialer Netzwerke in die nationale Hitparade befördert. Der Sender BBC, in der Bredouille zwischen Meinungsfreiheit und Pietät, spielt das Lied am Sonntagabend zwar in ihrer Charts-Radioshow, allerdings in gekürzter Version und samt einordnender Erklärung.

Dieser windelweiche Kompromiss der altehrwürdigen Rundfunk-Institution mag befremden. Doch sie ist der Stimmung in Großbritannien geschuldet. Thatchers Tod hat das ganze Land über Nacht in erbitterte Grabenkämpfe zwischen Rechts und Links, Reich und Arm, Gewinnern und Verlierern katapultiert.

Das Ableben der 87-Jährigen hat nicht nur höchst emotionale Erinnerungen hochgeschwemmt. Sondern auch Wunden, die die ökonomische und politische Krise der vergangenen Jahre gerissen hat, noch vertieft. Und so hat die Debatte um ihr Erbe eine Art Selbstbespiegelung einer Gesellschaft in Gang gesetzt, die viel Trennendes und wenig Gemeinsames zu entdecken scheint.

Dazu kommt die heftige öffentliche Diskussion, ob sich das Land der Demokratie und Freiheit, bedrängt von einer konservativen Regierung, aus Respekt vor einer Toten Zensur auferlegen lassen darf – siehe BBC. „Die womöglich einzigen Fakten, die nicht bestritten werden, sind, dass sie am 4. Mai 1979 ihr Amt antrat und es am 28. November 1990 mit einer Träne im Auge verließ“, schreibt die Zeitung „Guardian“. Thatcher prägte eine ganze Generation und polarisierte ihr Land wie kein anderer Regierungschef zu Lebzeiten – und tut dies auch mit ihrem Tod.

Vom Trafalgar Square im Herzen Londons über die Fußballstadien der Premier League bis zu den Titelschlagzeilen der großen Blätter zog sich auch am Wochenende die fortgesetzte Polarisierung. „Dir war es egal, wenn du gelogen hast – uns ist es egal, dass du tot bist“, so die wenig empathischen Worte, die Fans des FC Liverpool auf ein Transparent geschrieben hatten. Sie gedachten stattdessen des 24. Jahrestags der Katastrophe von Hillsborough. 96 Menschen starben damals beim Einsturz einer Tribüne, doch erst jetzt bringt eine Untersuchung das Versagen der Polizei ans Licht – die Thatcher als Regierungschefin gegen jede Kritik in Schutz genommen hatte.

Ohnehin fühlten sich Fußballfans seinerzeit von der Eisernen Lady als arbeitsfaules und streikfreudiges Gesocks abgetan. Entsprechend stieß die Forderung von Fußballlegende Bobby Charlton und des Vorstands von FC Reading, die Liga solle eine Gedenkminute für die Premierministerin einlegen, weitgehend auf ein eisiges Nein.

Im Zentrum Londons, wo sich rund 3000 Demonstranten zu einer Anti-Thatcher-Party versammelt hatten, marschierten Hundertschaften Polizei auf. Dem unbarmherzigen Nieselregen verdankten es die Beamten allerdings, dass die meisten Protestierenden bereits nach wenigen Stunden in die umliegenden Pubs verschwanden und sich die Veranstaltung, in die Bürgermeister Boris Johnson im Fall von Ausschreitungen hatte hart eingreifen wollen, noch vor Mitternacht im wahrsten Sinne zerlief.

Dabei war sogar eine Delegation ehemaliger Minenarbeiter aus Durham angereist, die Stadt im Nordosten Englands, Herzland der Gewerkschafter im Bergarbeiterstreik Mitte der 1980er-Jahre. Doch die Demonstranten blickten mitnichten nur zurück: Auch Aktivisten von Gruppen wie UK Uncut mischten sich unter die Menge, um gegen die Anfang des Monats in Kraft getretenen herben Einschnitte ins Sozialsystem zu protestieren.

Just am Veranstaltungsort der Anti-Thatcher-Gruppen wollen die Anhänger „ihrer Maggie“ währenddessen ein Denkmal bauen. Der konservative „Daily Telegraph“ wirbt seit Tagen massiv für eine Statue der Verstorbenen, im Schatten von Admiral Nelson. „Im Herzen der Nation“, weil sie immer die besten Interessen ihres Landes im Herzen gehabt habe, wie Falklandkrieg-Veteranen in der Zeitung forderten. Der „Telegraph“ will auch gleich noch eine umgerechnet rund 18 Millionen Euro teure Margaret-Thatcher-Bibliothek im Zentrum der Stadt erbaut sehen, finanziert von ihren Anhängern.

Doch die aktuelle finanzielle Frage, die im Königreich in der neuen Woche anhaltende Konfrontation garantiert, ist Thatchers Beerdigung am Mittwoch. Seit dem Tod von Prinzessin Diana und Queen Mum hat es keine Trauerfeier dieses Ausmaßes gegeben. Rund zwölf Millionen Euro wird der Zug vom Parlament bis zur St. Paul’s Cathedral kosten, der Innenstadt droht ein Verkehrschaos. Laut einer Umfrage des Labour-freundlichen „Daily Mirror“ lehnen es drei von vier Bürgern ab, dass die Rechnung vom Steuerzahler beglichen wird.

Die Verstorbene selbst schien sicher zu sein, dass sie die entsprechende Ehre bekommt – Steuergelder hin, Steuergelder her. Schon vor acht Jahren begann sie Medienberichten zufolge die Zeremonie minutiös zu planen, von Veteranen, die den Sarg begleiten, über die Gästeliste bis zur Rolle des Premierministers, der aus dem Johannes-Evangelium vorlesen muss. Und während ihre ärgsten Feinde draußen vor St. Paul’s den Hit von der toten Hexe spielen, erklingt drinnen die Hymne „I Vow to Thee, My Country“ – Dir ergeben, mein Vaterland. Ganz so, wie es sich die große Frau ohne Kompromisse gewünscht hätte.