Der ehemalige Fußballstar greift in den Wahlkampf in Venezuela ein. Umfragen sehen Nicolás Maduro vorn

Caracas. In den Armenvierteln von Caracas sitzt die Trauer noch tief. Wenn gut einen Monat nach dem Tod des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez ein neuer Staatschef gewählt wird, fühlen sich viele zur Stimmabgabe für Chávez’ Wunschkandidaten Nicolás Maduro quasi verpflichtet – aus Respekt für ihren verstorbenen „Comandante“. „Wählt Nicolás, wenn ich nicht mehr da bin“, hatte der todkranke Chávez gesagt. Für den Großteil der Venezolaner ist das ein Befehl.

„Ich werde am Sonntag Maduro wählen und dabei an Chávez denken“, sagt der Schweißer Richard Avello. „Überzeugt von dem Typen bin ich aber nicht. Es ist, als würde dir eine Braut aufgezwungen.“ In sämtlichen Umfragen hat diese „aufgezwungene Braut“ indes einen zweistelligen Vorsprung vor dem Oppositionskandidaten Henrique Capriles. Trotz der klaren Ausgangslage lieferten sich beide Lager einen erbitterten Wahlkampf, mit zahlreichen Tiefschlägen. Zum Abschluss der nur zehntägigen Kampagne versammelten beide noch einmal Zehntausende Anhänger. „Ich werde euer Vater sein, der Präsident der Armen“, rief Maduro auf seiner letzten Kundgebung in Caracas.

Sein Programm lässt sich eindampfen auf das Wort „Chávez“. Er will dessen Bolivarische Revolution fortsetzen, die vor allem darin bestand, die Öleinnahmen zugunsten der armen Bevölkerungsschicht zu nutzen. Er bezeichnete sich als „Sohn“ und „Jünger“ des Ex-Präsidenten und sorgte für reichlich Spott, als er behauptete, der verstorbene politische Ziehvater sei ihm im Schlaf als kleiner Vogel erschienen. Das Charisma seines Vorbildes hat der 50-Jährige nicht. Er begann seine Laufbahn als Busfahrer und war zuletzt Außenminister.

Und doch scheint es Capriles nicht zu schaffen, Maduro in die Enge zu treiben. Auf seiner Abschlusskundgebung bezichtigte der 40-Jährige seinen Gegner abermals der „Lüge“, weil dieser unter anderem ein Mordkomplott der USA gegen ihn heraufbeschworen hatte. Mit Korruption und Kriminalität könne es „so nicht weitergehen“, sagte Capriles. Das Land brauche nach 14 Jahren Chávez einen Wechsel.

In der Tat hat „El Comandante“ aller Verehrung zum Trotz ein gespaltenes und abgewirtschaftetes Land hinterlassen. 16.000 Morde wurden 2012 gezählt – die höchste Rate in Südamerika. Die Inflation galoppiert davon, trotz Ölreichtums müssen selbst Grundnahrungsmittel importiert werden, die Unternehmen sind durch Verstaatlichungen und fehlende Investitionen gelähmt, die Infrastruktur ist erschöpft. Das ist auch vielen Chávez-Verehrern bewusst. Und manche fürchten, dessen Wunschnachfolger könne die Misere noch verschlimmern – und werde den letzten Wunsch des Ex-Präsidenten deswegen enttäuschen und Capriles wählen.

Favorit Nicolás Maduro hat sich viel von seinem Lehrmeister abgeschaut. Auf Wahlkampfveranstaltungen schlug er wortgewaltig auf die Opposition ein. Und er holte die argentinische Fußball-Legende Diego Maradona zur Unterstützung. Maradona, der ein erklärter Bewunderer von Chávez war, signierte in Caracas Fußbälle und kickte sie in eine jubelnde Menge von Anhängern Maduros.

Maduro besuchte die Schule bis zur mittleren Reife, spielte in einer Rockband, engagierte sich früh in sozialistischen Jugendgruppen. Später arbeitete er als Busfahrer und stritt als Gewerkschafter für die Rechte der U-Bahn-Mitarbeiter. 1999 wurde er ins Parlament gewählt, wo er 2005 den Aufstieg zum Parlamentspräsidenten schaffte.

Erstmals trat er 1992 auf die nationale politische Bühne, als er zu Protesten für Chávez’ Freilassung aufrief. Dieser saß damals wegen eines Umsturzversuchs gegen den Präsidenten Carlos Andrés Pérez im Gefängnis. Diese Loyalität vergaß Chávez ihm nie. Beide Männer waren lange Weggefährten, und Maduro wurde zu einem der engsten Vertrauten von Chávez.

Capriles war im ersten Anlauf im Oktober noch an Chávez gescheitert, mit elf Prozentpunkten Rückstand. Doch selbst wenn Chávez’ Ziehsohn Maduro mit deutlichem Vorsprung gewählt wird, rechnen Experten nicht mit einer dauerhaft stabilen Regierung. Es war auch der wohl kürzeste Wahlkampf in Venezuelas Geschichte. Die Kandidaten hatten offiziell nur zehn Tage Zeit.

Der Wahlausgang wird im Ausland genau beobachtet. Vor allem Kuba hat ein Interesse an der Fortsetzung der Chávez-Linie. Denn das sozialistische Bruder-Land erhält seit Jahren Öl aus Venezuela zu verbilligten Preisen – im Tausch für die Entsendung von Ärzten und Militärausbildern. Derzeit sind es schätzungsweise 100.000 Barrel (ein Barrel sind 159 Liter) pro Tag. Damit will Capriles im Falle eines Wahlsieges aufräumen. Er verspricht: „Wir werden keinen Tropfen Öl mehr verschenken.“