Botschafter Dan Mulhall über Reformen, Ausgabenkürzungen, Investitionsprogramme und die Ziele der irischen EU-Ratspräsidentschaft

Hamburg. Ende 2010 hat Irland als erstes der Krisenländer Zuflucht unter dem Euro-Rettungsschirm gesucht. Noch in diesem Jahr wird sein Land daraus wieder aussteigen können und selbstständig an die Kapitalmärkte zurückkehren, ist sich Botschafter Dan Mulhall sicher. Der Weg dahin war lang und hart – er könnte aber auch als Vorbild für andere Krisenstaaten gelten. Im öffentlichen Dienst gab es eine Gehaltskürzung von 15 Prozent. Die Banken wurden durch die Steuerzahler gerettet, und es gab außerdem Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen aufseiten des Staates. Nun geht es langsam wieder aufwärts. In diesem Jahr erwartet Irland wieder ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent.

Mulhall sprach an seinem 58. Geburtstag mit dem Hamburger Abendblatt, als er die Hansestadt für eine Veranstaltung der Europa-Union besuchte.

Hamburger Abendblatt:

Mit Irland hat zum 1. Januar ein Land die EU-Ratspräsidentschaft übernommen, das wegen der Schuldenkrise internationale Hilfen beantragen musste. Ist das eine Bürde für die sechs Monate der Ratspräsidentschaft?

Dan Mulhall:

Das ist keine Bürde, sondern eine Chance. Ein kleines Land wie Irland kann zeigen, welchen Beitrag es zur Euro-Zone leistet. Wir haben vier schwierige Jahre erlebt, erst Boom, dann tiefe Rezession. Während des Booms haben wir zu viel in den Immobiliensektor investiert, und die Fehler unserer Banken haben die irischen Steuerzahler etwa 64 Milliarden Euro gekostet, etwa 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Jetzt geht es langsam wieder aufwärts.

Ist Irlands Krise also vorbei?

Mulhall:

Irland ist ein gutes Beispiel, wie ein Land die Krise bewältigen und überwinden kann. 2009 ist unsere Wirtschaft um neun Prozent geschrumpft. 2011 hatten wir ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent, in diesem Jahr erwarten wir 1,5 Prozent. Unser Erfolg ist nicht nur ein irischer, sondern auch einer für Europa. Ich bin zuversichtlich, dass Irland in diesem Jahr aus dem Rettungsschirm aussteigen wird. Das heißt nicht, dass wir heute schon über den Berg sind. Es liegen noch schwierige Herausforderungen vor uns.

Wie sieht das irische Rezept aus?

Mulhall:

Irland ist ein sehr weltoffenes Land. In den 50er-Jahren war das Land noch sehr arm und hat seine industrielle Entwicklung erst begonnen. Laut einem von Ernst & Young veröffentlichten Globalisierungsindex erreicht Irland heute Rang drei der weltweit am meisten globalisierten Volkswirtschaften und Rang eins in Europa. Irland braucht Auslandsinvestitionen. Deshalb haben wir ein faires und transparentes Steuersystem für Unternehmen. In Irland sind rund 1000 ausländische Firmen ansässig, zum Beispiel werden Pharma-Produkte, Medizintechnik und IT-Produkte entwickelt. Wir haben eine junge, gut ausgebildete und flexible Bevölkerung. Und für amerikanische Unternehmen gibt es keine Sprachprobleme, wenn sie eine Niederlassung in Europa gründen möchten.

Die Rating-Agentur Moody’s droht Irland und Portugal aber weiter mit einer Bonitätsabstufung. Der Ausblick für die Bewertung der beiden Länder bleibe auf „negativ“. Beunruhigt Sie das?

Mulhall:

Ich konzentriere mich vielmehr auf unsere Errungenschaften. Im März wurden irische Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit mit einem Volumen von fünf Milliarden Euro verkauft zu einem Zinssatz von 4,15 Prozent. Vor zwei Jahren lag der Zinssatz für langfristige irische Staatsanleihen noch über 15 Prozent. Anleger sind wieder zuversichtlich. Seit 2009 haben wir viel getan, um unsere Wirtschaft zu sanieren und die Banken zu stabilisieren. Im öffentlichen Dienst gab es eine Gehaltskürzung von 15 Prozent. Wir haben die Banken durch die Steuerzahler rekapitalisiert, es gab außerdem Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen aufseiten des Staates. Das zeigt, wie entschlossen das Land und seine Bürger sind, die Krise so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.

Sie sagen, für Europa sei es jetzt an der Zeit, vom Krisenmanagement zur Förderung des Wirtschaftsaufschwungs überzugehen. Wie soll das aussehen?

Mulhall:

Stabilität, Wachstum und Beschäftigung sind die Ziele unserer EU-Ratspräsidentschaft. Wir müssen die Banken-Union in Europa ausbauen, um die Euro-Zone zu stabilisieren. In puncto Wachstum setzen wir auf mehr Potenzial im Binnenmarkt. Warum wurden alle großen Unternehmen in jüngster Zeit wie Facebook oder Google in den USA gegründet? Dort gibt es 100 Prozent Binnenmarkt und eine große Innovationskultur. Weiterhin setzen wir auf weitere Freihandelsabkommen. Und schließlich muss etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa getan werden. Man spricht schon von einer verlorenen Generation. Das darf nicht passieren. Junge Iren etwa wandern gern für ein paar Jahre aus und sollten dann die Möglichkeit haben, wieder zurückzukehren. Wir müssen gewährleisten, dass Jugendlichen in Irland und aus anderen Regionen Europas Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden.

Um Geld für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit ausgeben zu können, braucht die EU einen gültigen Haushalt. Das Europäische Parlament muss diesem zustimmen, blockiert aber derzeit. Wie ist der Stand der Verhandlungen?

Mulhall:

Die irische Regierung hat einen guten Kontakt zum Parlament, wir führen einen Dialog. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Einigung erreichen können. Europa braucht einen nachhaltigen Finanzrahmen, um gestalten zu können. Es ist nicht möglich, für ganz Europa ein einheitliches Wirtschaftssystem zu haben. Die EU muss zwar koordinieren, um das System zu stärken und Krisen abzuwehren. Aber es kann nicht möglich sein, dass alle Länder Europas einem Wirtschaftsmodell folgen.

Die Iren gelten als überzeugte Europäer. Was halten Sie von den Bestrebungen in Großbritannien, sich aus der EU zu verabschieden?

Mulhall:

Großbritannien ist für Irland sehr wichtig, wir haben enge und tiefe Beziehungen zueinander. Wir hoffen, dass das Land in der EU bleiben wird, aber diese Entscheidung muss Großbritannien treffen. Ich bin seit 1978 Diplomat. Überlegen Sie mal, wie grundlegend Europa sich seitdem verändert hat. Jeder Schritt schien erst unmöglich, aber dann hat Europa doch diesen Schritt gemacht und die jeweilige Krise bewältigt. Die momentanen Herausforderungen sind wirklich ernsthaft, weil viele Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in Europa verloren haben während dieser Rezession, die die tiefste seit den 20er-Jahren ist. Wir brauchen aber mehr Kooperation, Integration und Unterstützung der Bevölkerung.