Während der elf Jahre an der Spitze der britischen Regierung hat sie das Land stärker verändert als die meisten ihrer Vorgänger.

The Englishman is made for a time of crisis“ (Der Engländer ist für Krisenzeiten gemacht), hatte der britische Premierminister Stanley Baldwin im Jahr 1924 geschrieben. Das durchzieht wie ein Muster die englische Geschichte. Es galt für Admiral Nelson, es galt für Winston Churchill, den der Zweite Weltkrieg zu einer historischen Figur werden ließ. Es galt auch für Margaret Thatcher, die auf dem Rücken des Zusammenbruchs Großbritanniens Ende der 70er-Jahre des 20.Jahrhunderts zu eigener Größe heranwuchs und wie Churchill und Nelson der Insel den Glauben an sich selbst neu einzupflanzen verstand.

Großbritannien vor Thatcher

Politisch hatte man von Thatcher bereits Abschied genommen, als sie im November 1990 aufgrund einer Revolte in ihrer eigenen Partei, den Konservativen (Tories), die Downing Street räumen musste. Aber ihre Wirkung auf die britische Politik ließ nicht nach, im Gegenteil: Sie wurde zum Vorbild der Jungtürken um New Labour, mit Tony Blair an der Spitze, der in Thatchers Revolution das Rezept für seine eigene Programmatik fand. Die erste Frau an der Spitze der britischen Politik hat eine tiefe Spur gezogen durch ihr Land. Aber auch im Ausland hat das Gespräch über Margaret Thatcher nie aufgehört. Ihr Tod zwingt zu neuer Besinnung auf ihr Erbe.

Thatcher gehört in jene Kategorie historischer Figuren, mit denen man die Zeitrechnung einteilt in ein Davor und ein Danach. So sprechen wir heute vom Vor-Thatcher-Großbritannien und vom Nach-Thatcher-Großbritannien. Dazwischen vollzog sich die Metamorphose der jüngeren britischen Geschichte überhaupt. Sie veränderte das Vereinigte Königreich fast bis zum Nicht-mehr-Wiedererkennen. Viele Wunden wurden aufgerissen im Verlauf dieser Revolution. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich bis heute auf der Insel Hass und Bewunderung zu gleichen Teilen um Margaret Thatcher ranken. Was dagegen nicht bestritten wird, auch nicht von ihren Verächtern, ist ihr herausgehobener Platz in der Zeitgeschichte.

Es war die Unterhauswahl vom 3. Mai 1979, die sie an die Macht spülte, mit einer eher bescheidenen Mehrheit von 43 Sitzen, die sie vier Jahre später auf 144 steigern konnte. Dazu verhalf ihr vor allem die argentinische Junta, die im April 1982 mit der Besetzung der Falklandinseln nicht nur eine Verletzung des Völkerrechts beging, sondern auch britisches Eigeninteresse herausforderte. Auf die Krise antwortete Thatcher mit einem klassischen „We shall never surrender“, und das „against all odds“, gegen ursprünglich jede Aussicht auf Erfolg. Schon 1976 hatte ein sowjetischer General in der Armeezeitung „Roter Stern“ die damalige Oppositionsführerin der Tories aufgrund ihres entschiedenen Antikommunismus als „Eiserne Lady“ apostrophiert.

Gegen den Sozialismus

Ein Blick auf die Vor-Thatcher-Ära kann helfen, zu begreifen, was den Unterschied zur Zeit danach ausmacht. Das lässt sich am besten mit einer Anekdote erzählen, einer wahren Begebenheit aus der Labour-Regierung, die im Mai 1979 ihr Ende fand. Bernard Donoughue, politischer Koordinator in der Downing Street unter dem damaligen Premierminister James Callaghan, hat sie in seinem Tagebuch aus jener Zeit notiert.

Es ist der September 1978, und die Berater des Premiers haben befunden, dass ein neuer Dienstwagen für den Regierungschef angeschafft werden müsse. Von wem? Natürlich von dem verstaatlichten Autohersteller British Leyland. O-Ton Donoughue: „Zwei Jaguars wurden bestellt. Viel Zeit verging, ehe sie eintrafen. Als es endlich so weit war, fand man heraus, dass sie insgesamt 34 mechanische Mängel aufwiesen und man sie daher zurückschicken musste zur Reparatur. Und zu Veränderungen wie bomben- und kugelsichere Verkleidung. Alles zu riesigen Kosten. Als sie neu angeliefert wurden, machte Callaghan in einem der Wagen eine Probefahrt. Dabei wollte er das Fenster öffnen und drückte auf den Knopf, der das elektronisch zu steuern hatte. Mit dem Erfolg, dass das Fenster ihm prompt in den Schoß fiel. Worauf der Premier meinte, er wolle die beiden neuen Autos nie wieder zu Gesicht bekommen. Jetzt haben wir das Problem, was man mit zwei großen teuren Wagen anfängt, die mit Sicherheitsextras für eine Viertelmillion Pfund für den Regierungschef ausgerüstet wurden.“ Die Anekdote spricht Bände. Ein permanent von Streiks geschüttelter staatlicher Autohersteller fühlte sich so sicher, den Steuerzahler zur Kasse bitten zu können, dass er nichts dabei fand, einen Haufen Neuschrott just bei dem Mann abzuliefern, der auch noch die Schecks gegenzuzeichnen hatte zur weiteren Alimentierung des maroden Betriebs.

Der „kranke Mann an der Themse“, wie das Vereinigte Königreich damals genannt wurde, war in Wahrheit todgeweiht. Lohn- und Preiskontrollen beherrschten die Wirtschafts-, Devisenkontrollen und andere Auflagen die Finanzpolitik, britischer Unternehmergeist war wie abgewürgt. Auch die Tories hatten sich dem Nachkriegskonsens mit seinen vier unverrückbaren Prämissen unterworfen: Wohlfahrtsstaat; „gemischte“ Wirtschaft mit hohem Anteil an verstaatlichter Industrie; Vollbeschäftigung statt Inflationsbekämpfung; Austausch mit den Gewerkschaften, den eigentlichen Tonangebern der britischen Zeitgeschichte. Was unter Old Labour so weit führte, dass Kabinettsvorlagen routinemäßig dem Gewerkschaftsdachverband TUC zur Billigung vorgelegt wurden. Callaghan ließ die höheren Chargen wissen: „Wir sind in eurer Hand, aber besteht bitte nicht darauf, dass wir euch dies auch noch schriftlich bestätigen.“

Gegen diese schleichende sozialistische Vereinnahmung erhob Margarat Thatcher bereits auf ihrem ersten Parteitag als frisch gekürte Tory-Vorsitzende im Herbst 1975 ihre Stimme: „Großbritannien und Sozialismus sind nicht vereinbar, und solange ich Atem und Kraft in mir spüre, werden sie es niemals sein.“ Als diese Worte fielen, hatte die Insel bereits ihren ersten „Winter des Missvergnügens“ hinter sich, eine Streikwelle Anfang 1974, mit Stromsperren dreimal in der Woche und Einkäufen im Supermarkt bei Kerzenlicht. Edward Heath, der damalige Premier, ließ daraufhin wählen unter der Losung: „Wer regiert eigentlich Großbritannien?“ Doch die Kampfansage an die Gewerkschaften erschien vielen als zu konfrontativ, Heath verlor das Spiel um die Wähler, Labour kehrte für fünf weitere Jahre an die Macht zurück. Erst als im Streikwinter 1978/79 nichts mehr ging, der Müll nicht abgeholt, die Toten nicht beerdigt, die Kranken nicht behandelt wurden, begriffen die Briten, wie es um sie stand.

Beleidigungen im Unterhaus

Als Thatcher 1979 Premierministerin geworden war, baute sich vor ihrem Wahlkreisbüro in Finchley (Nordlondon) eine Protestgruppe von Frauen auf mit dem Slogan: „Wir wollen Frauenrechte, keine rechtslastige Frau.“ Das war, in nackten Worten, Thatchers Verbrechen: Ihre Auffassung von Frauenrechten, das Recht, mit Männern zu konkurrieren und Erfolg zu haben auf deren angestammter Ebene – das passte nicht in die modische Orthodoxie des linken Feminismus.

Die Historikerin Amanda Foreman erinnerte vor wenigen Jahren an den „erschreckenden männlichen Chauvinismus“, den Thatcher im England der 50er-Jahre vorfand, und welchen Mutes es bedurfte, gegen diese Mauer anzukämpfen. 1950, gerade 25 geworden und mit einem Chemie-Abschluss von Oxford in der Tasche, trat sie zum ersten Mal im Wahlkreis Dartford an, einem sicheren Labour-Sitz. Sie konnte ihn zwar nicht erobern, half aber, den Stimmenanteil der Tories beträchtlich zu vergrößern.

Bald danach heiratete sie und wurde Mutter von Zwillingen – Carol und Mark –, gab aber ihre Absicht, die Männerdomäne im Parlament zu erobern, keineswegs auf. Sie hatte Glück mit Denis Thatcher, ihrem Ehemann, einem Businessman und Millionär, dessen Geld ihr ermöglichte, weiterzustudieren und sich zur Anwältin für Steuerrecht zu qualifizieren, um ihre politischen Ambitionen weiter voranzubringen. Zu Hause passte derweil eine Vollzeitnanny auf die Kinder auf – eine Versöhnung von Beruf und Familie, wie sie damals nur wenigen Mitgliedern der „middle classes“ offenstand. Sieben weitere Jahre noch musste sie sich plagen mit Versuchen, als Tory-Kandidatin aufgestellt zu werden. Es bedurfte eines Londoner Wahlkreises mit einem starken jüdischen Einschlag, Finchley, um das Muster der Abwehr gegen die ehrgeizige Margaret Thatcher aufzubrechen und sie als Kandidatin zuzulassen. Sie war eine von nur 25 Frauen, die 1959 ins Parlament gewählt wurden.

1970 gehörte sie zum Kabinett von Edward Heath, als Ministerin für Erziehung. Von ihren Kollegen wurde Thatcher von Anfang an links liegen gelassen. Heath setzte sie bewusst auf jene Seite des Protokollführers, von der aus er sie nie richtig sehen konnte. Um an den Diskussionen überhaupt teilzunehmen, musste sie sich daher buchstäblich nach vorne drängen, was ihre Stimme, so schrieb Heaths Privatsekretär Robin Butler später, „immer etwas schrill und extrem“ klingen ließ.

Als sie die Einsparungen, die Heath im Erziehungsetat verlangte, durchsetzen musste, erhielt sie eine wahre Sintflut an Verwünschungen, auch im Unterhaus. Jedes Mal, wenn sie das House of Commons betrat, ertönte von den Labour-Bänken der Sprechchor: „Ditch the bitch“ – verjagt die Hündin. Bei einem Downing-Street-Lunch wurde ein Gast, der nicht gesehen hatte, dass sie nur ein paar Stühle entfernt von ihm saß, gehört, wie er witzelte: „Ist irgendetwas dran an dem Gerücht, dass Mrs. Thatcher eine Frau ist?“

Gegen die Wiedervereinigung

In der Art, mit der sie mit dem politischen Nachkriegskonsens Englands aufräumte, war die Eiserne Lady eigentlich eine unbritische Figur, fast „teutonisch“ in ihrer Kompromisslosigkeit, wie oft angemerkt worden ist. „The lady is not for turning“, war ihr Lieblingssatz – mit dieser Dame gibt es kein Umkehren. 1975 hatte sie Heath als Parteiführer „erlegt“, 1984 siegte sie über die Bergarbeiter unter deren radikalem Anführer Arthur Scargill, die Freisetzung des Finanzplatzes London folgte, und die argentinische Junta unter General Galtieri hatte ihr den Gefallen getan, 1982 die Falklandinseln zu überfallen.

Margaret Thatcher durfte denken, eine große Nation anzuführen. Vielleicht eine Großmacht? Als solche sah man sie persönlich im politischen Kontext ihrer Zeit durchaus; nur in wenigen Generationen tauchen Begabungen von solcher Energie und Durchsetzungskraft auf, wie sie sich in ihr versammelten. Groß an Thatcher war allerdings auch ihre Fähigkeit, an alten Grundsätzen der britischen Politik festzuhalten, darunter der Politik eines Mächtegleichgewichts. Ihre Generation war in der Zeit der Nazi-Diktatur groß geworden und musste erleben, dass keine „Balance of power“ dem Tyrannen Hitler mehr beizukommen vermochte, nachdem er einmal zu voller Größe herangewachsen war.

Ihr Deutschlandbild war damit für alle Zeiten festgelegt, und wie man das Land in der Mitte Europas ausbalanciere, war die für sie entscheidende Frage. Durch Integration natürlich, sagten Franzosen und andere. Nein, sagte sie, das würde den deutschen Einfluss in Europa erst recht vergrößern. Wir hätten dann ein deutsches Europa vor uns. „Ein wiedervereinigtes Deutschland“, so argumentierte sie seit 1989, nachzulesen in ihren Memoiren „Downing Street Years“, „ist einfach zu groß und zu mächtig, um in Europa einfach ein Spieler unter vielen zu sein.“ In ihrem Widerstand gegen die deutsche Vereinigung wurde sie zu einer isolierten Politikerin, der am Ende sogar die eigene Partei die Gefolgschaft verweigerte.