Griechische Aktivisten verlangen von Deutschland Wiedergutmachung für im Zweiten Weltkrieg entstandene Schäden

Athen/Istanbul/Berlin. Seit 20 Jahren recherchieren die Aktivisten des „Nationalrats für die Einforderung deutscher Kriegsschulden an Griechenland“, veröffentlichen Aufsätze und Bücher zum Thema, versuchen Druck auf Politiker auszuüben. Denn nach Meinung des Ratsvorsitzenden, Weltkriegsveteranen, Politikers und Aktivisten Manolis Glezos, 91, drückt sich Berlin seit 1945 davor, seine Schulden gegenüber dem von Nazi-Deutschland ausgeplünderten und schwer beschädigten Land zu begleichen. Die Forderungen sollen, so die Berechnungen des Nationalrats, die gesamten Staatsschulden Griechenlands weit übersteigen. Im Grunde könne Hellas schuldenfrei durchstarten, wenn nur das mächtige Deutschland ein wenig Anstand zeigen und seine Rechnung begleichen würde. Vor einiger Zeit griff die Regierung selbst das Thema auf. Eine Parlamentskommission durchforstete Archive, recherchierte, verfasste einen 80-seitigen Bericht und kam nach Informationen der Zeitung „To Vima“ zu dem Schluss, dass Griechenland nie irgendwelche Entschädigungen aus Deutschland erhalten habe.

Aber der Bericht bleibt streng geheim. Und so ist man beim Nationalrat zugleich erfreut und erzürnt: Erfreut, dass die lange Wühlarbeit endlich politische Folgen hat, aber erzürnt, dass man selbst nicht zu Rate gezogen wurde, und vor allem darüber, dass der Bericht geheim ist. „Wir fordern die Regierung nachdrücklich auf, alle Tatsachen offenzulegen“, sagt Stephanos Linaios, Theatermann, Buchautor und Generalsekretär der Organisation. Deutschland fordert er auf, Recht walten zu lassen. „Das deutsche Wirtschaftswunder entstand durch amerikanische Kredite, aber auch dadurch, dass Berlin nie seine Schulden beglich“, sagt er. „Uns geht es nicht um das Geld. Nur durch die tragische finanzielle Lage des Landes ist dieser Aspekt so wichtig geworden. Uns geht es um Anstand und Moral.“

In der Besatzungszeit wurde die Wirtschaft gnadenlos ausgeplündert

Die Zahlen im Regierungsbericht sind nicht öffentlich bekannt. In der allgemeinen Diskussion oft genannt wird ein von Hitler erzwungener Kredit, der nie zurückgezahlt wurde, sowie Schäden durch die Besatzung und Wiedergutmachung für Gräueltaten. Für diese beiden Aspekte werden in der allgemeinen Debatte – und vom Nationalrat – eine von Deutschland geschuldete Summe von 162 Milliarden Euro genannt. Das wären 80 Prozent der Staatsschulden. Das aber, sagt Linaios, ist noch lange nicht alles. Darin nicht enthalten seien „der Diebstahl von mehr als 8000 archäologischen Gegenständen und sonstiger Kunstwerke, die Einführung einer wertlosen Kriegswährung, die erzwungene logistische Unterstützung nicht nur der Besatzungstruppen, sondern auch des Afrikakorps. Die Deutschen haben damals 51 Prozent unserer gesamten Produktion beschlagnahmt.“ Linaios spricht deshalb von insgesamt rund 500 Milliarden Euro. Über Deutschland sagt er: „Wir beneiden die Deutschen nicht. Wir sind frei von Schuld, sie haben daran zu tragen. Ich bin sicher, dass die Mehrheit der Deutschen nicht mit Herrn Schäubles Meinungen in dieser Frage einverstanden ist“ – nämlich dass Berlin den Griechen gar nichts schuldet.

Hintergrund der griechischen Forderungen ist der Überfall der Wehrmacht auf das Land im April 1941. Mehr als dreieinhalb, teilweise fast vier Jahre dauerte die deutsche Besatzung Griechenlands. In dieser Zeit wurde die Wirtschaft gnadenlos ausgeplündert, unzählige Griechen wurden gefoltert und getötet. Nach Polen und dem damaligen Jugoslawien standen die Schäden durch die Fremdherrschaft in Griechenland von allen besetzten Ländern prozentual an dritter Stelle. Allerdings zeigte sich die griechische Regierung schon bei der ersten, von den Siegermächten einberufenen Reparationskonferenz in Paris 1945 maßlos. Seinerzeit forderten ihre Vertreter die Hälfte der von den Sowjets vorgeschlagenen Gesamtreparationssumme von 20 Milliarden US-Dollar. Diese Forderung war freilich schon im Februar 1945 von den USA und Großbritannien als zu hoch beurteilt worden. Man fürchtete, derartige Reparationsforderungen könnten den wirtschaftlichen Aufbau eines neuen, demokratischen Deutschlands abschnüren. Als schlechtes Beispiel hatte man den Friedensvertrag von Versailles und die Weimarer Republik vor Augen. Die erste deutsche Demokratie war durch die geplante jahrzehntelange Abzahlung von Wiedergutmachungsleistungen massiv geschwächt worden. Ohne den Streit um Versailles und die Folgen wäre der Aufstieg Hitlers nicht möglich gewesen. Einen ähnlichen Fehler wollten die westlichen Siegermächte nicht noch einmal machen.

Bei der Pariser Konferenz wurde deshalb Griechenland ein Anteil von 4,5 Prozent an den materiellen deutschen Reparationsleistungen zugestanden und von 2,7 Prozent an anderen Formen der Reparationen. Tatsächlich bereitgestellt wurden Sachleistungen, vor allem Maschinen, aus westdeutscher Produktion im damaligen Gesamtwert von rund 25 Millionen Dollar, was damals 105 Millionen Mark entsprach und heute je nach Berechnungsmethode bis zu zwei Milliarden Euro.

Nach Angaben des deutschen Historikers Heinz A. Richter sollen diese Werte jedoch nie dem griechischen Staat zugute gekommen sein. Der pensionierte Professor der Universität Mannheim hat herausgefunden, dass ein Drittel der insgesamt zugesagten Lieferungen 1950 auf englischen Schiffe Richtung Griechenland abgegangen sind. „Sie kamen jedoch nie dort an“, so Richter. Der Rest habe zwei Jahre im Hamburger Hafen vor sich hin gerostet und sei dann an die Briten verkauft worden. Auch der Erlös schaffte es nie bis in die Staatskassen von Athen. Die Gründe dafür sind unklar. Denkbar wäre, dass die Lieferungen von findigen Geschäftemachern „privatisiert“ wurden – ob von Griechen oder von Bürgern anderer Staaten, ist unbekannt. Deshalb kann man auch schwerlich sagen, ob die Bundesregierung dafür Verantwortung trifft. Der westdeutsche Staat jedenfalls hat die an ihn gerichteten Forderungen seinerzeit erfüllt.

Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurde dann die Regelung der Reparationsforderungen an die Bundesrepublik bis zum Abschluss eines Friedensvertrages verschoben. Als 1990 die deutsche Einheit verhandelt wurde, waren alle vier ehemaligen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges einverstanden, das völkerrechtlich bindende Zwei-plus-vier-Abkommen zu schließen, das „anstelle eines Friedensvertrages“ trat. Auf diesem Wege wurden alle Forderungen nach Reparationsleistungen erledigt. Auch Griechenland akzeptierte dieses Abkommen und verzichtete auf ohnehin nur noch theoretisch mögliche Forderungen.

Entschädigungssummen und Kredite sollen teilweise versickert sein

Unabhängig von allen anderen Forderungen entschädigte die Bundesrepublik individuell Opfer von NS-Verbrechen. Am 18. März 1960 schlossen Griechenland und die Bundesregierung einen Vertrag, dem zufolge 115 Millionen Mark für griechische Opfer der NS-Herrschaft gezahlt wurden. Das war geknüpft an die Zusage, dass keine zusätzlichen Forderungen auf individuellen Schadenersatz mehr zulässig sein sollten. Dennoch gab es immer wieder Forderungen von Nachkommen griechischer Opfer. Die bekannteste derartige Klage erhoben die Kinder von Bewohnern des Dorfes Distomo, die bei einer „Vergeltungsaktion“ am 10. Juni 1944 ermordet worden waren. Sie erreichten 1997 ein Urteil, demzufolge die Bundesrepublik umgerechnet 37,5 Millionen Euro Entschädigung zahlen müsse.

Nach der Unterstützung durch italienische und der Ablehnung der Klage durch deutsche Richter entschied im Januar 2012 der Internationale Gerichtshof in Den Haag. Das Ergebnis war eindeutig: Nach dem Prinzip der Staatenimmunität dürfen Privatleute nicht gegen einen fremden Staat klagen.

Nach Recherchen des Historikers Richter sollen allerdings auch mindestens Teile der von der Bundesrepublik überwiesenen individuellen Entschädigungssummen sowie von zinsgünstigen Unterstützungskrediten nicht zweckgerichtet verwendet worden, sondern versickert sein. Sollten diese Erkenntnisse zutreffen, so würde das allerdings keinen Anspruch Griechenlands heute an die Bundesrepublik begründen. Verantwortlich für die offenbar tatsächlich ausgezahlten Mittel waren vielmehr griechische Beamte.