Wie der frühere Hamburger Jugendseelsorger und heutige Chefredakteur von Radio Vatikan, Pater Bernd Hagenkord, die letzten Tage von Benedikt XVI. im Amt erlebt. Heute zeigt sich das Oberhaupt der katholischen Kirche noch einmal den Gläubigen.

Pater Bernd Hagenkord braucht für gewöhnlich nur fünf Minuten, um in sein Büro in der Città del Vaticano zu gelangen. Fast täglich geht er den Weg zu Fuß vom Jesuiten-Haus in die Redaktion der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan. Von dort hat er einen imposanten Blick auf die römische Engelsburg.

Am heutigen Mittwoch jedoch ist alles anders. Zehntausende Pilger werden den Petersplatz bevölkern, um dem Papst Ciao zu sagen. Es ist der letzte öffentliche Auftritt von Benedikt XVI., seine letzte Generalaudienz, mit der er sich von den Gläubigen in aller Welt verabschiedet.

Pater Hagenkord, der Leiter des deutschen Hörfunkprogramms, wird deshalb rechtzeitig das Haus verlassen und sich einen Weg durch die vielen Menschen bahnen. Er hat nur einen Termin an diesem denkwürdigen Tag: Von 10 Uhr an steht der katholische Kirchenjournalist als Gesprächspartner dem ZDF zur Verfügung. Der Sender berichtet live über ein Ereignis der Kirchengeschichte, das es noch nie gegeben hat: Ein Papst dankt vor laufenden Kameras ab. Bye, bye Benedetto. Am Donnerstag ist sein letzter Arbeitstag.

Seit mehr als drei Jahren ist Hagenkord, 44, das deutsche Sprachrohr des Papstes. Der frühere Hamburger Jugendseelsorger trat im Oktober 2009 die Nachfolge von Pater Eberhard von Gemmingen an. Damals stand der Heilige Vater auf dem Zenit seines theologischen Schaffens. Der erste Teil der Jesus-Trilogie war erschienen. Und der zweite Teil stand kurz vor der Vollendung. Nun aber heißt es auch für den ehemaligen Priester aus der Hansestadt, Abschied zu nehmen von einem großen, alten Mann, der Hagenkord sogar im Prozess des Loslassens beeindruckt.

Der Kirchenjournalist hat schon viel über Benedikt geschrieben, von ihm gelesen, Ansprachen kommentiert und päpstliche Reden gesendet. Aber die letzten Amtstage des römischen Pontifex faszinieren: "Es ist vor allem seine Angstfreiheit. Der Papst geht den Schritt in eine ungewisse Zukunft, von der er nicht weiß, was mit diesem Amt passiert. Dafür bewundere ich ihn."

Es war ein Techniker aus der Redaktion von Radio Vatikan, der Pater Hagenkord an jenem 11. Februar die Nachricht vom Rücktritt überbrachte, als in Deutschland Rosenmontag gefeiert wurde. "Schnell wusste ich: Das stimmt", erinnert sich Bernd Hagenkord. Schließlich fügte sich die Entscheidung konsequent in das bisherige Denken des Papstes. Hatte er nicht selbst über die "Ökologie des Menschen" gesprochen - 2011 bei seiner Rede vor dem Bundestag? Und dass man die Natur nicht beliebig manipulieren kann? "Ja", sagte sich Hagenkord an jenem Montag, "dieser Rücktritt passt gut zu ihm. Denn Benedikt ist in den vergangenen Monaten sichtbar schwach geworden. Man merkt es auch an seiner Stimme."

Rücktritt verändert redaktionelle Planungen

Seit dem 11. Februar befindet sich die kleine deutschsprachige Abteilung von Radio Vatikan im Ausnahmezustand. Wie die ganze katholische Weltkirche. Täglich musste Hagenkord internationalen Medien Interviews geben. An den ersten Tagen nach dem Rücktritt fast pausenlos. Von sechs Uhr morgens bis spät in den Abend.

Doch der Rücktritt veränderte auch die redaktionellen Planungen: "Kurz nach dieser Nachricht habe ich eine symbolische Handbewegung auf meinem Schreibtisch gemacht." Damit wurden alle Projekte, alle Texte, der ganze Stehsatz und alle bereits produzierten Sendungen beiseitegeschoben. Radio Vatikan wollte eigentlich ein Porträt von Walter Kasper senden. Der frühere Kurienkardinal und ehemalige Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen feiert am 5. März seinen 80. Geburtstag. Und es sollte die neue Luther-Biografie des deutschen Historikers Martin Schilling vorgestellt werden. Darüber hinaus gab es noch mehrere Beiträge für die Fastenzeit. "Nur", gibt der Chefredakteur jetzt zu bedenken, "wann soll ich das senden, wenn es bis in die Tage vor Ostern nur ein beherrschendes Thema gibt?" Bald wurde ihm klar: Es beginnt eine neue Zeitrechnung.

"Der Montag", fasst Hagenkord zusammen, "war sicherlich einer der wichtigsten Tage, die wir in unserer Redaktion erlebt haben. Selten sieht man, wie Geschichte gemacht wird. Keine Zeit für Gänsehaut. Aber der Verstand hat das sehr wohl wahrgenommen."

So vergingen die ersten Tage zwischen Routine und den ganz normalen Turbulenzen in solchen Situationen. Viel Zeit für Gebete und Kontemplation blieb nicht. Bei frischem Fisch und einem starken Espresso danach traf sich der Geistliche in seinem Lieblingsrestaurant mit Journalisten aus aller Welt. Sie wollten wissen, wie es nun weitergeht. Und warum der Papst zurückgetreten ist. Ob er vielleicht zum Rücktritt gedrängt oder gezwungen wurde? "Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien. Das sind Räuberpistolen einiger Medien", sagt er. Fügt aber hinzu: "Die Auseinandersetzungen um die Piusbruderschaft und Vatileaks haben den Papst sicher nicht kaltgelassen, sondern Spuren hinterlassen. Benedikt XVI. ist nicht der coole Professor, für den ihn manche halten."

Nein, er habe ihn bei seinen Begegnungen immer auch als Persönlichkeit mit Bodenhaftung erlebt. Dreimal in seiner Zeit als Radiochef hat Hagenkord den Heiligen Vater persönlich getroffen. Noch heute denkt er voller Respekt an jenes Treffen vor mehr als drei Jahren zurück. Bei einer Generalaudienz wurde Hagenkord als neuer Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan vorgestellt. "Ich war beeindruckt, wie gut und interessiert er zuhören konnte." Die weiteren Begegnungen erfolgten bei den päpstlichen Reisen, unter anderem nach Deutschland.

„Es gab keine melodramatischen Gesten“

In den letzten Tagen seiner Amtszeit hat Hagenkord den Papst noch mehrfach gesehen. Bei der Generalaudienz am 13. Februar zum Beispiel. Hagenkord: "Es wirkte ein wenig surreal, bei all den Berichten über den Rücktritt, den Gedanken über das Morgen und dem riesigen Medienaufwand in Rom dem Papst bei seinem 'normalen' Tun zuzuhören."

Was Benedikt XVI. bei all diesen öffentlichen Auftritten ins Zentrum seiner Botschaft rückte, war nicht er selbst, sondern Jesus Christus. Als er am vergangenen Sonntag zum letzten Mal das Angelusgebet sprach, ging es um den Inhalt seines Pontifikats - nicht um das persönliche Schicksal des Stellvertreters Christi auf Erden. "Es gab keine melodramatischen Gesten, sondern eine geistliche Auslegung der Heiligen Schrift. Der Papst will uns damit sagen: ,Ich bin nicht wichtig. Schaut auf Christus!'" So sei er sich selbst treu geblieben - denkend, betend, kontemplativ, reflektierend.

Pater Hagenkord, der noch manchmal während seines Urlaubs im Hamburger Kleinen Michel die Messe feiert, muss bei all diesen letzten öffentlichen Auftritten an eine Gestalt aus der Bibel denken. Es ist der greise Simon, der im Jerusalemer Tempel im neugeborenen Knaben Jesus den Messias erkennt. "Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden", heißt es beim Evangelisten Lukas. Natürlich ist der Papst noch nicht gestorben. Aber er zieht sich gänzlich zurück aus der Öffentlichkeit und wird sich nie wieder medial zu Wort melden.

Es ist nach menschlichem Ermessen so etwas wie eine selbst gewählte Verbannung, die Benedikt XVI. mit dem Ende seines Pontifikats am Donnerstag, 20 Uhr, auf sich nimmt. Vielleicht mag er in wenigen Wochen - wie einst Johannes XXIII. - durch die Vatikanischen Gärten spazieren. Doch erlauben es seine Kräfte tatsächlich, längere Strecken allein zu gehen?

Den letzten Lebensabschnitt, so viel ist gewiss, verbringt er zurückgezogen im Gespräch mit Gott. Beim Angelusgebet am vergangenen Sonntag sagte der Heilige Vater: "Der Herr ruft mich, 'auf den Berg zu steigen', um mich noch mehr dem Gebet und der Meditation zu widmen."

Für den Pater aus Hamburg geht damit auch ein Lebenswerk zu Ende, das unvollendet bleibt. Zwar sind die drei Bände über Jesus Christus abgeschlossen und ein Meisterwerk biblischer Schriftauslegung geworden. Auch hat Joseph Ratzinger wichtige Enzykliken geschrieben wie etwa über die Liebe ("Caritas in Veritate"). Aber eine weitere Enzyklika, die unter anderem um das Thema Hoffnung kreisen sollte, wird nun nicht fortgesetzt. Hagenkord: "Der Papst lässt alles liegen."

Stattdessen fährt Benedikt XVI. am heutigen Mittwoch mit seinem "Papamobil" über den Petersplatz in Rom, um seinen Gläubigen aus aller Welt ein letztes Mal zuzuwinken. Journalist Bernd Hagenkord wird an diesem Tag des Abschieds seine persönlichen Emotionen professionell zurückstellen. Keine Zeit für Gänsehaut. Gemeinsam mit Marco Politi, Buchautor und Vatikankenner seit Jahrzehnten, kommentiert er live im "ZDF spezial", wie der letzte Vorhang fällt. Millionen Fernsehzuschauer in aller Welt werden dieses Ereignis verfolgen, das jedoch nur eine Etappe von weiteren Höhepunkten ist.

Das Konklave steht bevor. Bis Ostern soll weißer Rauch aus der Sixtinischen Kapelle aufsteigen. Von jenem Tag an befinden sich in der Ewigen Stadt gleich zwei Päpste, der alte und der neue. Dass beide einander einmal begegnen werden, hält Hagenkord für höchstwahrscheinlich: "Das ist dann ungefähr so, als würden sich zwei US-Präsidenten treffen."