Luftangriffe an der syrisch-libanesischen Grenze sorgen für neue Spannungen

Jerusalem. Der Nebel um die Geschehnisse an der syrisch-libanesischen Grenze in der Nacht zu Mittwoch lichtet sich nur sehr langsam. Zunächst hatten westliche Diplomaten und Sicherheitsleute von einem israelischen Luftangriff auf einen Waffenkonvoi berichtet. Der Verdacht, es könne sich um einen vereitelten Versuch des bedrängten syrischen Regimes gehandelt haben, Chemiewaffen an die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah zu liefern, erhärtete sich nicht. Noch besitze die syrische Regierung die Kontrolle über die Chemiewaffen des Landes, wurden israelische und amerikanische Geheimdienstmitarbeiter übereinstimmend in den Medien zitiert.

Der von Israel bisher nicht bestätigte Angriff könne vielmehr einem Transport von SA-17-Luftabwehrraketen russischer Produktion gegolten haben, hieß es bald. Das radargesteuerte und mit Feststoff angetriebene System würde für die regelmäßigen Aufklärungsflüge der Israelis im libanesischen Luftraum eine weitaus größere Gefahr darstellen, als jene schultergestützten Systeme, die sich längst in den Waffenkellern des Hisbollah befinden. Weder von der libanesischen noch von der syrischen Regierung wurde dieser Angriff bisher bestätigt.

Möglicherweise hat es aber sogar zwei Angriffe gegeben: Bereits am Mittwochabend hieß es aus Damaskus, die israelischen Flieger hätten ein Forschungslabor außerhalb der syrischen Hauptstadt zerstört. Dabei seien zwei Menschen ums Leben gekommen und fünf weitere verletzt worden. Ausgerechnet die Hisbollah scheint nun zu bestätigen, dass es sich bei dem Ziel um eine militärische Forschungsanlage gehandelt hat.

In einer auf ihrer Webseite Al-Manar veröffentlichen Erklärung erklärt die Schiitenorganisation, Israel habe mit dem "barbarischen Angriff" die Entwicklung "technologischer und militärischer Fähigkeiten" in der arabischen Welt hemmen wollen. Wurde in der Anlage von Dschamraja möglicherweise Chemiewaffen hergestellt oder gelagert?

Israel hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass es weder einen Einsatz noch die Weitergabe der syrischen Chemiewaffen tatenlos hinnehmen werde. Gerieten die Waffen in die Hände der Hisbollah, wäre das für Israel ein "casus belli", ein Kriegsgrund, hatte der damalige Außenminister Awigdor Lieberman schon im Juni 2012 gesagt. In der Gegend des Forschungszentrums liefern sich Regierungstruppen Kämpfe mit Aufständischen. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass Israel nicht das Risiko eingehen wollte, die unkonventionellen Waffen in die falschen Hände geraten zu lassen.

Der im Dezember in die Türkei geflüchtete General und ehemalige Chef der syrischen Militärpolizei Abdul-Asis Jassem al-Schallal hingegen sagte, in dem Entwicklungszentrum für Waffentechnik befänden sich keine unkonventionellen Waffen. Meist würden sich dort ausländische Berater aus Russland oder dem Iran aufhalten.

Neben der Hisbollah und dem syrischen Regime kritisierten auch die Arabische Liga und Russland das israelische Vorgehen scharf. Man sei "sehr besorgt" über die Situation, hieß es in Moskau. Sollten sich die Gerüchte bestätigen, habe man es mit "nicht provozierten Angriffen auf einen souveränen Staat zu tun". Damit hätte Israel in "nicht akzeptablem" Ausmaß gegen die Charter der Vereinten Nationen verstoßen, lautete eine Erklärung aus dem russischen Außenministerium.

Weder die USA noch andere westliche Staaten wollten sich zu dem Vorfall offiziell äußern. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, man habe noch "keine gesicherten Erkenntnisse". Sein britischer Amtskollege William Hague versicherte ebenfalls, er verfüge über "keine zusätzlichen Informationen" und verwies allgemein auf die "großen Gefahren", die vom Syrienkonflikt ausgingen. Auch ein amerikanischer Pressesprecher verwies die fragenden Journalisten an die israelische Regierung. Die "New York Times" berichtete aber, Regierungsmitarbeiter hätten ihr die Angriffe bestätigt. Israel habe die US-Regierung zuvor informiert, berichtete die Zeitung.

Die israelischen Medien versuchten am Tag nach dem vermeintlichen Angriff die Gefahr eines Vergeltungsschlages Syriens oder der Hisbollah einzuschätzen. Während weitgehend Einigkeit herrschte, dass die syrische Regierung in ihrem Überlebenskampf keine Kraft für eine zweite Front hat, waren sich die Kommentatoren bei der libanesischen Schiitenmiliz da schon weniger sicher.

Die Postämter im Norden des Landes meldeten, die Nachfrage nach Gasmasken sei sprunghaft angestiegen. Die Hisbollah wurde jahrelang von Syrien und dem Iran militärisch ausgerüstet und gehört zu den verlässlichsten Verbündeten des syrischen Regimes. Mehrere Tausend Kämpfer der Organisation, darunter Eliteeinheiten, sollen im syrischen Bürgerkrieg mitkämpfen.

Eine Drohung kam auch aus Teheran, wo das Regime sich entschieden auf die Seite des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gestellt hat und ihm handfeste Unterstützung zukommen lässt. Der Iran als eigentliche Schutzmacht des Assad-Regimes und der Hisbollah drohte Israel harsche, aber nicht weiter erläuterte Konsequenzen an. "Dieser Akt ist eine klare Verletzung der territorialen Integrität Syriens und beweist erneut, dass die Zionisten (Israel) und der Westen keine Stabilität und Sicherheit in Syrien wollen", sagte Außenminister Ali-Akbar Salehi nach Angaben des staatlichen Fernsehsenders IRIB. Der Angriff beweise weiterhin, dass die "Terroristen" in Syrien die gleichen Ziele verfolgten wie Israel. Schon vor einer Woche hatte ein Berater der iranischen Regierung gewarnt, eine westliche Intervention in den syrischen Bürgerkrieg werde der Iran als einen Angriff auf sich selbst interpretieren. Mit einem Angriff des Iran rechnete in Israel aber niemand ernsthaft.