Muslimbrüder kritisieren das Wahlsystem, das städtische Gebiete, in denen sie stark sind, benachteiligt und ländliche Regionen bevorteilt.

Amman. Einen Tag nach der Parlamentswahl in Israel haben die Bürger im benachbarten Jordanien am Mittwoch die Gelegenheit, über ein neues Parlament zu entscheiden. Es ist die erste Wahl in dem Land nach den Revolutionen des Arabischen Frühlings. Die Muslimbrüder boykottieren allerdings die Abstimmung. Sie kritisieren, dass das Wahlsystem Jordaniens die städtischen Gebiete, in denen sie stark sind, benachteiligt und die ländlichen Regionen bevorteilt.

Jordanien hat zwar auch Massenproteste gegen Korruption erlebt. Außerdem wurde in jüngster Zeit immer mehr Kritik an König Abdullah laut. Der Unmut der Bevölkerung erreichte aber längst nicht das Niveau wie in anderen Ländern, wo die Herrscher gestürzt wurden oder Bürgerkriege ausbrachen.

Die Regierung sicherte freie und faire Wahlen trotz des Boykotts der Muslimbrüder zu. Kaum jemand im Land gehe davon aus, dass sich die Regierung in die Wahl einmischen werde, sagte Ministerpräsident Abdullah Ensur.

Die Muslimbrüder sind die einzige populäre Partei in Jordanien. Sie stützt sich insbesondere auf Anhänger in den Städten und vor allem unter der armen palästinensischen Bevölkerung. Wegen ihres Boykotts dürften die Parlamentssitze vor allem unter Stammesführern, Geschäftsleuten und anderen Vertretern der gesellschaftlichen Oberschicht vergeben werden. Von den 1500 Kandidaten treten nur wenige für etablierte Parteien an. Vorwürfe des Stimmenkaufes sind daher nicht selten.

„Es gibt keine Programme in den Wahlkämpfen der Kandidaten“, sagte Scheich Talal al-Madi, ein früherer Senator. „Ihre Kampagnen sind emotional aufgezogen. Sie basieren mehr auf persönlichen Beziehungen als auf konstruktiven Programmen.“ Im neuen Parlament dürften daher die die Regierung stützenden Stämme aus den ländlichen Gebieten deutlich stärker repräsentiert sein als die armen Bevölkerungsschichten aus den Städten. Mehr als zwei Drittel der sieben Millionen Jordanier leben in Städten. Ihre Interessenvertreter werden aber voraussichtlich weniger als ein Drittel der Mandate erringen.