In Israel haben die Neuwahlen der Knesset begonnen. Netanjahu wählt schwer bewacht, Bennett singt die Nationalhymne.

Jerusalem/Tel Aviv. In Israel hat am Dienstag die Parlamentswahl begonnen. Rund 5,6 Millionen Bürger sind aufgerufen, die 120 Mitglieder der 19. Knesset zu bestimmen. Die Wahlen waren vorgezogen worden, weil sich die Rechts-Koalition des konservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im Herbst nicht auf einen Sparhaushalt einigen konnte. Netanjahu geht als klarer Favorit in die Abstimmung.

Als einer der ersten gab Regierungschef Netanjahu seine Stimme ab - in einem schwer gesicherten Wahllokal erschien der 63-Jährige bereits kurz nach der Öffnung gemeinsam mit seiner Frau Sara. „Es ist kein regnerischer Tag, aber ich hoffe, es wird Stimmen für den Likud regnen“, zitierte die Zeitung „Jerusalem Post“ den konservativen Politiker. Netanjahus ultra-rechter Konkurrent, Israels neuer Politstar Naftali Bennett, habe vor dem Wahllokal sogar die Nationalhymne zum Besten gegeben, hieß es.

Allen Umfragen zufolge wird die gemeinsame Liste aus Netanjahus Likud und der ultrakonservativen Partei seines bisherigen Außenministers Avigdor Lieberman mit Abstand stärkste Kraft, die allerdings auf mehrere Koalitionspartner angewiesen sein wird. Die Arbeitspartei als stärkste Kraft der Mitte hatte aber bereits im Wahlkampf eine Koalition mit Netanjahu abgelehnt.

Der seit 2009 regierende Netanjahu hat angekündigt, den Kampf gegen eine atomare Bewaffnung Irans zur Priorität einer neuen Amtszeit zu machen. Im Wahlkampf hatte Netanjahu mehrfach demonstrativ zum Siedlungsbau bekannt.

Zusammengerechnet mit seiner ersten Legislaturperiode Ende der 1990er Jahre ist Netanjahu schon jetzt der am längsten amtierende Ministerpräsident des Landes nach Israels Gründungsvater David Ben-Gurion.

Die Wahllokale 21.00 Uhr MEZ. Erste Ergebnisse werden unmittelbar danach erwartet.

Bennett: Nie ein Friedensplan mit Palästinensern

Mit Spannung erwartet wird auch das Abschneiden des Software-Multimillionärs und früheren Elitesoldaten Naftali Bennett, dessen national-religiöse Siedlerpartei „Jüdische Heimat“ mit noch extremeren Positionen als Netanjahus Likud punkten will. Der 40-jährige Shootingstar war einst Netanjahus Stabschef, sagte sich dann aber von seinem Ziehvater los. Eine Zwei-Staaten-Lösung lehnt er ab, große Teile des Westjordanlands will Bennett annektieren. Allerdings sollen die dort lebenden Palästinenser die vollen Bürgerrechte erhalten. „Es wird nie einen Friedensplan mit den Palästinensern geben“, lautet Bennetts Mantra. Und: „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um sicherzustellen, dass sie nie einen eigenen Staat bekommen.“

Die Opposition ist zerstritten und brachte es nicht fertig, sich um einen aussichtsreichen Kandidaten als Alternative zu Netanjahu zu scharen. Zudem scheinen viele Israelis nicht mehr an eine Friedenslösung mit den Palästinensern zu glauben, wie sie früher das große Thema der Arbeitspartei war – die sich im jetzigen Wahlkampf vor allem auf sozialpolitische Botschaften konzentrierte. Nur die neu gegründete Bewegung der früheren Außenministerin Zipi Livni stellte den Nahostkonflikt noch in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs.

Schwierige Koalitionsbildung im zersplitterten Parlament

Bei 34 Parteien sind unzählige Koalitionen denkbar – wer schließlich am Kabinettstisch Platz nimmt, wird nach dem Urnengang hinter verschlossenen Türen ausgekungelt. Zwar dürfte Netanjahu im Amt bleiben, doch in welche Richtung sich seine rechtskonservative Koalition bewegt, wird erst nach der Wahl verhandelt.

Wie auch immer die künftige Regierung Israels zusammengesetzt sein wird – das künftige Kabinett sieht sich großen Herausforderungen gegenüber. Der israelischen Gesellschaft stehen heftige Umbrüche bevor und die Zeit wird knapp. Während die Palästinenser immer entschiedener nach einem eigenen Staat streben, bauen die kinderreichen Ultraorthodoxen ihren Einfluss allein schon durch den demografischen Faktor immer weiter aus. Weil sowohl Araber als auch Ultraorthodoxe deutlich mehr Kinder als der Bevölkerungsdurchschnitt bekommen, könnten säkulare Juden schon bald zur Minderheit im eigenen Land werden.

Viel mehr als eine heftige Konfrontation und ideologische Grabenkämpfe nach der Knesset-Wahl, befürchten viele Beobachter allerdings den politischen Stillstand. „Die Wahl 2023 wird nichts verändern“, schrieb der Journalist Emanuel Rosen kürzlich im Nachrichtenportal der israelischen Zeitung „Jediot Acharonot“. „Israel wartet auf einen Führer, auf einen Wechsel, auf echtes Drama.“ Derzeit seien die Israelis aber offenbar noch nicht für einen echten politischen Neuanfang bereit – sie blickten bereits auf die nächste Wahl im Jahr 2017.