Der Cavaliere drängt zurück an die Macht. Schon die Ankündigung, er werde bei Parlamentswahl kandidieren, stürzt Europa in die Krise.

Was sonst in Italien für einen riesigen Wirbel gesorgt hätte, ging am Montag zwischen dem Börsenkrach in Mailand und den politischen Reaktionen in Rom und Europa fast völlig unter: Die Marokkanerin Ruby el-Marough war nicht als Zeugin zu dem nach ihr benannten Prozess in Mailand erschienen. Die empörten Richter lassen nun nach ihr fahnden. Sollte Ruby nicht bald aussagen, könnte der für Ende Januar vorgesehene Urteilsspruch erst im Sommer ergehen.

Dem Angeklagten würde das allerdings bestens passen: Der heißt Silvio Berlusconi, war viermal Regierungschef Italiens und ist nun erneut Kandidat für das Amt des Premiers bei den Wahlen Anfang 2013. Berlusconi steht im Ruby-Prozess wegen Prostitution mit Minderjährigen vor Gericht, weil er bei den Escort-Mädchen, die auf seinen Bunga-Bunga-Partys nicht nur mit ihm tanzten, wohl nicht so genau aufs Alter geschaut hatte.

Die Staatsanwältin Ilda Bocassini, eine langjährige Berlusconi-Widersacherin in der Justiz, brachte auf den Punkt, was zuvor in Italien nur gemunkelt worden war: "Das ist eine Strategie, um Zeit zu gewinnen und den Wahlkampf zu erreichen." Wenige Tage vorher hatte Isabella Bertolini, einst eine Berlusconi-Getreue und jetzt abtrünnig gewordene Politikerin der Partei "Volk der Freiheit", vorhergesagt: "Silvio wird kandidieren, weil er das Urteil dann als politische Hetze darstellen kann."

Mit viel Lärm, aber eher unerwartet ist Berlusconi auf die politische Bühne zurückgekehrt: Erst verweigerte seine Partei der Regierung von Regierungschef Mario Monti das Vertrauen in zwei parlamentarischen Abstimmungen. Am Sonnabend, an dem die Italiener die Immaculata-Feier begehen, Kekse backen und ihren Weihnachtsbaum aufstellen, war es so weit: Am Rande des Trainingslagers seines Fußballklubs AC Mailand kündigte der vor 13 Monaten zurückgetretene Berlusconi seine Rückkehr an. "Aus Verzweiflung über die Situation unseres Landes stelle ich meine Kandidatur in den Dienst der Italiener."

Für viele Italiener war das eher eine Hiobsbotschaft. Nur wenige hatten wirklich auf dieses Comeback gewartet. Am wenigsten Mario Monti: Der parteilose Regierungschef kündigte noch am Sonnabendabend seinen Rücktritt an - noch vor Weihnachten wird Italien ohne Regierung sein. Am Montag stürzte daraufhin die Mailänder Börse ab.

Nun sind die Italiener verzweifelt: Walter Veltroni, früher Chef der Demokratischen Partei (PD), schimpfte: "Das unverantwortliche Verhalten Berlusconis reißt unser Land in eine höchst gefährliche Krise. Er will Italien zerstören." Der Chefredakteur der Tageszeitung "Corriere della Sera" schrieb sich seine Sorgen so vom Herzen: "Dies ist der Bericht dramatischer Stunden im Leben unseres Landes."

Die politischen Fronten sind nach Berlusconis Spontan-Kandidatur wieder aufgebrochen, die Situation ist schwer überschaubar: Eben erst hatte das Mitte-links-Lager den Parteisekretär der großen "Demokratischen Partei", die in Meinungsumfragen mit mehr als einem Drittel Stimmen vorne liegt, in Vorwahlen zum Spitzenkandidaten gekürt, hatte die separatistische Lega Nord sich auf die norditalienische Scholle zurückgezogen, hatte sich das politische Zentrum um den Christdemokraten Pier Ferdinando Casini formiert, war die Protestbewegung "Fünf Sterne" des Komikers Beppe Grillo nach ersten Erfolgen in ihre Schranken gewiesen, da gibt es nun neuen Wirbel.

Was die Wähler selbst von Berlusconis Comeback halten, erzählt eindrucksvoll die hashtag "#iononlovoto", ("#ichwähleihnnicht"), die bereits am Sonntagmorgen nur wenige Stunden nach Erscheinen den ersten Platz auf der Twitterhitliste erklommen hatte: "Weil ich meine Familie liebe", "Weil ich nicht weiß, ob er zum Plastik oder in den Restmüll gehört", "Weil allein die Kandidatur beschämend ist, so wie auch die Person. Wehe dem, der den jahrelangen Horror vergisst", so lauten die Kommentare.

Im Land geht die Angst um, dass die in einem Jahr Monti-Regierung erbrachten Opfer in wenigen Stunden verpulvert sein könnten. Montis Technokraten-Kabinett hatte den Italienern nach Berlusconis Rücktritt im Herbst 2011 harte Sparmaßnahmen auferlegt, um den Verbleib von Europas drittgrößter Industrienation in der Euro-Zone zu garantieren. Denn das stand auf dem Spiel, als Berlusconi zum Rücktritt gezwungen wurde. Statt Italien durch die Krise zu manövrieren, protzte der Premier mit Steuererleichterungen und gab die Schuld am maroden Haushalt gerne den europäischen Sparauflagen. Statt krisenfeste Reformen anzuschieben, feierte er lieber rauschende Feste.

Montis Regierung dagegen setzte Reformen in wenigen Monaten durch: Er modernisierte das Rentensystem und den Arbeitsmarkt, verfolgte Steuerhinterziehung und Korruption mit neuen Gesetzen. Bereiche, die in den zehn Jahren zuvor zum Hemmschuh für die italienische Wirtschaft geworden waren. Und er führte die gefürchtete Immobiliensteuer - von Berlusconi noch werbeträchtig abgeschafft - wieder ein.

Obwohl Montis angekündigter Rücktritt nun in Italien und Europa große Sorge auslöst, bekam er den Segen von ganz oben: "Es war eine unvermeidliche Entscheidung", sagte Kardinal Angela Bagnasco, Präsident der italienischen Bischofskonferenz. Er warnte zugleich: "Die Opfer der Italiener dürfen nicht ungedankt bleiben." Monti weiß das: "Um das Werk eines Jahres nicht zu verschleudern und den Bürgern, die in diesem Jahr Opfer gebracht haben, nicht noch mehr zu schaden", erklärte er, werde er in wenigen Tagen entscheiden, ob er bei der Neuwahl selbst und gegen Berlusconi antritt.

Dem Technokraten-Premier fehlte zuletzt die Zeit für die Konjunkturförderung. Sie ist inzwischen dringend notwendig - Italien ist in die Rezession gerutscht. Am Montag machten das neue Wirtschaftsdaten deutlich: Das Bruttosozialprodukt sank um 2,4 Prozent, die Arbeitslosenquote liegt inzwischen bei mehr als elf Prozent und steigt stetig. 36 Prozent der Jugendlichen sind ohne Job. Die mittelständische Industrie - das Fundament der italienischen Wirtschaft - ist durch hohe Steuerlast und fehlende Kredite in die Knie gezwungen. Die Industrieproduktion sackte um 6,8 Prozent, die Automobilindustrie produzierte ein Fünftel weniger Fahrzeuge. Fast ein Drittel der italienischen Familien droht unter die Armutsgrenze abzurutschen.

Zu Weihnachten 2012 werden die Italiener 13 Prozent weniger ausgeben als im Vorjahr. Das würde Berlusconi gerne für seine Wahlkampagne ausbeuten. Aber nicht nur Mario Monti warnte am Montag vor der "Gefahr des Populismus". Auch die konservative Presse ist besorgt. Der Chefredakteur der römischen Tageszeitung "Il Tempo" äußerte die Hoffnung: "Die Italiener sind nicht dumm. Sie wissen, dass ihr Land zwei Billionen Euro Schulden hat und die Monti-Politik der Preis dafür ist." Leoluca Orlando, Sprecher der Partei "Italien der Werte" (IDV) aus dem Mitte-links-Lager, sagte dem Abendblatt: "Es ist jetzt dringender denn je, dass Italien sich mit den Wahlen von Berlusconi und dem Schaden, den er angerichtet hat, befreit." Es sei allerdings auch wichtig, "dass eine neue Regierung der Verschwendung in der Verwaltung und der Steuerhinterziehung ein Ende setzt, sich gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit einsetzt und damit endlich eine gesunde Basis für wirtschaftlichen Aufschwung schafft".

Italien erwartet in diesem Jahr ein kaltes Weihnachtsfest. Nicht nur, weil in diesen Tagen so viel Schnee fällt und in Schulen und sogar Supermärkten wegen Geldmangels die Heizungen heruntergedreht werden. Trotzdem wären viele Italiener nicht neidisch, wenn Silvio Berlusconi wieder in den Urlaub nach Kenia abreisen würde. Dort hatte der Cavaliere schon im Herbst mehrere Wochen verbracht. Mit seinem Freund, dem Unternehmer Flavio Briatore. Die Herren badeten ausgiebig im türkisblauen Meer - umgeben von hübschen Begleiterinnen.