Helmut Schmidt und Henry Kissinger diskutierten den Aufstieg Asiens im Rahmen des “Hamburg Summit“ in der Hamburger Handelskammer.

Hamburg. Es waren mehr als zwei Jahrhunderte an geballter weltpolitischer Erfahrung, die gestern im "Albert-Schäfer-Saal" der Hamburger Handelskammer auf dem Podium saßen - manifestiert in drei Männern.

Im Rahmen der mit internationalen Top-Vertretern besetzten Konferenz "The Hamburg Summit - China meets Europe" debattierten die Polit-Giganten Helmut Schmidt und Henry Kissinger über "Die transatlantische Sicht: Ein neues China mit neuen Führern?". Moderator war der 82-jährige Theo Sommer, weltgewandte Ikone des deutschen Journalismus.

Fast 94 Jahre alt ist Helmut Schmidt, Bundeskanzler von 1974-82. Damals schrieb ein US-Magazin über ihn, er sei "eine strahlende Ausnahme in einer Welt von 40-Watt-Führern". 89 Jahre alt ist Henry Kissinger - ein Phänomen auch er. Der in Fürth geborene und 1938 in die USA emigrierte Politikwissenschaftler gilt gleichzeitig als populärster und umstrittenster Außenminister der US-Geschichte. Einerseits ein eisenharter Real- und Machtpolitiker, andererseits ein äußerst erfolgreicher Entspannungspolitiker, der 1971 die ersten Rüstungsbegrenzungsabkommen mit der Sowjetunion aushandelte und zwei Jahre später mit den Nordvietnamesen Geheimgespräche zur Beendigung des Vietnamkrieges führte - wofür er den Friedensnobelpreis erhielt. Und es war Kissinger, der 1971 nach Peking reiste, um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und China einzuleiten.

Auf die Frage, ob er von der neuen chinesischen Führung einen politischen Wandel erwarte, sagte Kissinger: "Es wäre ein Fehler, die Entwicklung in China unter personalen Aspekten zu betrachten." Der Wandel werde kommen - nicht aufgrund neuer Personen, sondern neuer Herausforderungen.

Helmut Schmidt glaubt an eine Kontinuität der chinesischen Politik. Doch könne man nicht voraussagen, wie krisenhafte Entwicklungen in der Welt sich auf die Lage in China auswirken könnten. Das größte Wunder für ihn sei, dass China mit seiner fast 4000-jährigen Geschichte anders als andere alte Zivilisationen der Welt nicht verschwunden, sondern nach einer mehr als dreihundertjährigen Epoche des Verfalls geradezu explodiert sei.

"Wir sollten nicht besorgt sein wegen China", sagte der frühere Kanzler.

Auch Kissinger meinte: "Ich weise den Gedanken zurück, dass wir uns auf eine militärische Konfrontation mit China zubewegen. Es wäre auch ein Fehler, die Beziehungen Chinas zum Westen, namentlich zu den USA, unter militärischen Aspekten zu sehen." China sei keine militante Eroberer-Nation.

Aber China stelle doch territoriale Ansprüche im Pazifik, warf Theo Sommer ein. Helmut Schmidt entgegnete: "Ich bin nicht beunruhigt über ein paar Inseln, ich bin eher beunruhigt über den wachsenden Nationalismus in China und Japan." Auch Schmidt betonte, dass China nie über andere Völker hergefallen sei, um sie zu kolonisieren; es sei eines der friedlichsten Völker der Geschichte. "Und ich glaube nicht, dass sie mit dieser Tradition brechen."

Kissinger räumte ein, dass es natürlich auch in China Leute gebe, die die Lage auch aus militärischer Sicht beurteilten. Sie glaubten, die USA versperrten China den Weg zur Nummer eins der Welt. "Dabei müssen wir aufhören, ständig von Nummer eins oder zwei zu reden!", sagte der frühere US-Außenminister. "Was bringt denn das? Die Führer beider Staaten haben die Pflicht, ihre Bürger zur Kooperation zu erziehen. Das ist doch kein militärisches Problem."

Helmut Schmidt wies darauf hin, dass das Verteidigungsbudget der USA derzeit rund sechsmal so hoch sei wie das Chinas. "Doch nicht die militärische Macht wird das Schicksal des 21. Jahrhunderts entscheiden, sondern das Wohlergehen der Völker." Respekt und Kooperation seien die Schlüsselwörter, die die Welt lernen müsse.

Dass der Aufstieg Asiens, Chinas vor allem, den Niedergang des Westens bedinge, glauben weder Kissinger noch Schmidt. "Doch falls dies eintritt, dann ist es nicht der Fehler der Chinesen, sondern unserer", stellte Kissinger klar. Dann habe der Westen sich nicht genug Mühe gegeben und könne nicht anderen die Schuld daran geben. "Doch ich teile diesen Pessimismus nicht."

Die Angst vor China sei völlig unbegründet, sagte auch der frühere Bundesfinanzminister Prof. Manfred Lahnstein, der an der Konferenz teilnahm, dem Abendblatt. Keineswegs bedeute der Aufstieg Chinas den Abstieg des Westens. Die Weltwirtschaft sei kein System gleich dicker kommunizierender Röhren. "Wir haben es mit einer dynamischen Welt zu tun." Natürlich werde Asien sich schneller entwickeln - "aber die kommen ja auch von weiter unten". Die Welt habe genug Raum für neun Milliarden Menschen, sagte Lahnstein, denen es dann besser gehen könne als den sieben Milliarden heute.