Die Proteste gegen den Präsidenten reißen nicht ab. Jetzt gibt es ein Todesopfer. Mohammed Mursi vom Ausmaß der Kritik offenbar beunruhigt.

Kairo. Die Proteste gegen die Machtausweitung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi haben Medienberichten zufolge ein Todesopfer gefordert. Bei einem Angriff auf das Büro der Muslimbruderschaft in der Nildeltastadt Damanhur kam am Sonntagabend ein Mensch ums Leben, wie der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira berichtete. Weitere 60 Menschen seien verletzt worden. An diesem Montag will Mursi mit Vertretern der Richter über Möglichkeiten zur Beendigung der Krise reden. Seit Beginn der Proteste, die mit einer Verfassungserklärung des aus der Muslimbruderschaft stammenden Präsidenten in der vergangenen Woche begonnen hatten, wurden bereits mehr als 500 Menschen verletzt.

Um ihre Solidarität mit Mursi zu bekunden, gingen am Sonntagabend in mehreren ägyptischen Städten auch Tausende Islamisten auf die Straße. An den Demonstrationen nahmen nicht nur Angehörige der Muslimbruderschaft teil, sondern auch Anhänger der radikal-islamischen Salafisten. Sie erklärten, nun sei die Zeit gekommen, um Mursi in seinem Kampf gegen die Überreste des alten Regimes beizustehen. An diesem Dienstag wollen sowohl die Islamisten als auch die liberalen Kräfte erneut auf die Straße gehen, was bei vielen Ägyptern die Angst vor neuer Gewalt schürt.

Bereits im Laufe des Sonntags war es in Kairo und der Provinz Al-Baheira erneut zu Straßenschlachten zwischen der Polizei und den Gegnern Mursis gekommen. Allein auf dem Kairoer Tahrir-Platz protestierten mindestens 5000 Menschen gegen den Kurs des Islamisten. Die ägyptischen Aktienkurse sackten wegen der Krise im Land dramatisch ab.

Das Ausmaß der Kritik an seiner Verfassungserklärung aus dem In- und Ausland beunruhigt Mursi offensichtlich. Nach Angaben der staatlichen Medien rief er am Sonntag zum zweiten Mal binnen 24 Stunden seine Berater zu sich. Für diesen Montag lud er mehrere Richter ein, um mit ihnen nach einem Ausweg aus der Krise zu suchen, wie die unabhängige Kairoer Tageszeitung „Al-Shorouk“ meldete. Die Richter, von denen viele aus Protest in den Ausstand getreten sind, werfen ihm vor, die Unabhängigkeit der Justiz untergraben zu wollen.

Die Richtervereinigung erklärte, die Juristen wollten ihre Arbeit erst wieder aufnehmen, wenn Mursi seine Verfassungserklärung zurücknimmt. Damit hatte er am Donnerstag seine Befugnisse zulasten der Justiz massiv ausgeweitet. Der Oberste Richterrat forderte den Staatschef auf, sich auf Fragen der inneren Sicherheit und der Souveränität des Landes zu beschränken.

Die ägyptische Präsidentschaft bezeichnete die umstrittene Verfassungserklärung am Abend als vorläufig. Sie gelte nur, bis eine neue Verfassung verabschiedet sei, zitierten lokale Medien aus einer Stellungnahme. Justizminister Ahmed Mekki warnte laut Staatsfernsehen, durch die aktuelle Krise manövriere Ägypten am Rand des Abgrunds.

Mursi hatte am Mittwoch mehrere Dekrete erlassen, die aus seiner Sicht "die Revolution schützen" sollen, indem seine Anordnungen nicht mehr anfechtbar sind. Kritiker sehen darin eine totale Entmachtung des Justizsystems. Der Oberste Richterrat Ägyptens kritisierte Mursis Dekrete als "beispiellosen Angriff" auf die Justiz. Gerichte in Alexandria kündigten an, ihre Arbeit so lange niederzulegen, bis die Dekrete aufgehoben würden. Der Versuch des Präsidenten, seine Macht auf Kosten der Justiz zu vergrößern, war auch von der Uno und von westlichen Regierungen kritisiert worden.

Auch Anleger reagierten nervös auf die Entwicklung in Ägypten. Gestern fiel der wichtigste ägyptische Aktienindex EGX30 um 9,5 Prozent und damit so stark wie nie seit den turbulenten Tagen im vergangenen Jahr, als der langjährige Präsident Husni Mubarak zum Rücktritt gedrängt wurde. Mursi schützte durch seine Dekrete auch das Oberhaus des Parlaments und den Ausschuss, der eine neue Verfassung erarbeiten soll, vor richterlichen Anordnungen. Beide Gremien sind von Islamisten dominiert.

Für morgen haben Oppositionsgruppen zu landesweiten Protesten aufgerufen. Al-Baradei gab gemeinsam mit sechs weiteren populären Oppositionsvertretern die Gründung einer Nationalen Heilsfront bekannt, die alle nicht islamischen Gruppen im Kampf gegen Mursis Dekrete vereinen will. An der Initiative beteiligt sich auch der frühere Außenminister Amr Mussa. "Es gibt keinen Mittelweg, keinen Dialog, bevor Mursi seine Dekrete zurücknimmt. Bis dann gibt es keinen Platz für Dialog", sagte al-Baradei.

Ägyptens Islamisten verdächtigen unterdessen das Ausland, sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. Ein islamistischer Anwalt erstattete deswegen Anzeige gegen drei Oppositionelle. Hamed Sadik behauptet nach Angaben des Nachrichtenportals "Egynews", al-Baradei, der Vorsitzende der liberalen Wafd-Partei, Sajjid al-Badawi, und der frühere Präsidentschaftskandidat Hamdien Sabahi hätten "mit einer ausländischen Kraft vereinbart, den Präsidenten der Republik, Mohammed Mursi, bei seiner Arbeit zu stören". Der von Mursi gerade neu ernannte Generalstaatsanwalt Talat Ibrahim Abdullah hatte sich zuvor bereits mehrere Kritiker des Präsidenten vorgeknöpft. Abdullah lud einen Politiker und zwei Juristen vor, die sich gegen die Entmachtung der Justiz durch den Präsidenten ausgesprochen hatten. Ihnen wird vorgeworfen, sie versuchten, das System zu stürzen. Außerdem hätten sie sich gegen Entscheidungen des Präsidenten gestellt und zum zivilen Ungehorsam aufgerufen.