Bürger und Richter zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Verfassungserklärung von Präsident Mursi. Auf der Straße flogen weiter Steine.

Kairo. Ägyptens Präsident Mohammed Mursi stößt mit seiner neuen Machtpolitik auf eine Front der Ablehnung. Am Sonntag trat ein Großteil der Richter und Staatsanwälte des Landes in den Streik. In Kairo und der Provinz Al-Baheira gab es erneut Straßenschlachten zwischen der Polizei und den Gegnern der Muslimbruderschaft, aus der Mursi stammt. Allein auf dem Kairoer Tahrir-Platz protestierten am Sonntag mindestens 5000 Menschen gegen den Kurs des islamistischen Präsidenten. Für Sonntagabend hatten die Muslimbrüder zu einer landesweiten Solidaritätskundgebung für Mursi aufgerufen. Die ägyptischen Aktienkurse sackten wegen der Turbulenzen dramatisch ab.

Die Richtervereinigung erklärte, die Richter wollten ihre Arbeit erst wieder aufnehmen, wenn Präsident Mohammed Mursi seine umstrittene Verfassungserklärung zurücknimmt. Der Oberste Richterrat warf dem Staatschef vor, er gefährde die Unabhängigkeit der Justiz.

Der Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei warnte: „Wenn die gemäßigten Kräfte keine Stimme mehr haben, dann droht ein Bürgerkrieg.“ In einem Interview des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ beschuldigte er den islamistischen Präsidenten, Ägypten in eine Diktatur zu führen: „Er hat die ganze Macht an sich gerissen. Nicht einmal ein Pharao hatte so viele Befugnisse, von seinem Vorgänger Husni Mubarak ganz zu schweigen.“

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden bei den Protesten gegen Mursi seit Freitag mehr als 300 Menschen verletzt. Aktivistinnen erklärten, sechs Islamistinnen mit Gesichtsschleiern hätten am Sonnabendabend einer jungen Anti-Mursi-Demonstrantin vor dem Justizpalast in Kairo die Haare angezündet.

Am Dienstag wollen sowohl die Islamisten als auch die liberalen Kräfte erneut auf die Straße gehen, was bei vielen Ägyptern die Angst vor neuer Gewalt schürt. Das Oberhaupt der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, erklärte in der Nacht zum Sonntag: „Die überwältigende Mehrheit des ägyptischen Volkes hat die Entscheidungen des Präsidenten der Republik begrüßt.“

Mursi, der aus der Muslimbruderschaft stammt, hatte am Donnerstag eine Verfassungserklärung erlassen, die von der Opposition als „Staatsstreich“ bezeichnet wurde. Laut seiner Erklärung dürfen die Gerichte des Landes die Umsetzung seiner Dekrete nicht behindern. Sie haben auch nicht das Recht, die Verfassungskommission aufzulösen.

Das Ausmaß der Kritik an seiner Erklärung aus dem In- und Ausland beunruhigt Mursi offensichtlich. Nach Angaben der staatlichen Medien rief er am Sonntag zum zweiten Mal binnen 24 Stunden seine Berater zu sich.

Ein islamistischer Anwalt erstattete derweil Anzeige gegen drei Oppositionelle. Hamed Sadik behauptet nach Angaben des Nachrichtenportals „Egynews“, El Baradei, der Vorsitzende der liberalen Wafd-Partei, Sajjid al-Badawi, und der frühere Präsidentschaftskandidat Hamdien Sabahi hätten „mit einer ausländischen Kraft vereinbart, den Präsidenten der Republik, Mohammed Mursi, bei seiner Arbeit zu stören“.

Der von Mursi gerade neu ernannte Generalstaatsanwalt Talat Ibrahim Abdullah hatte sich zuvor bereits mehrere Kritiker des Präsidenten vorgeknöpft. Abdullah lud einen Politiker und zwei Juristen vor, die sich gegen die Entmachtung der Justiz durch den Präsidenten ausgesprochen hatten. Ihnen wird vorgeworfen, sie versuchten, das System zu stürzen. Außerdem hätten sie sich gegen Entscheidungen des Präsidenten gestellt und zum zivilen Ungehorsam aufgerufen.

Die Anleger reagierten mit Sorge auf die jüngsten politischen Turbulenzen. Die Aktienkurse waren am Sonntag im freien Fall. Der EGX-30-Index verlor 9,5 Prozent.

Der Versuch des Präsidenten, seine Macht auf Kosten der Justiz zu vergrößern, war auch von den Vereinten Nationen und von einigen westlichen Regierungen kritisiert worden. Bundesaußenminister Guido Westerwelle sagte: „Wir wollen den Umbruch und den Übergang zur Demokratie. Zu einer demokratischen Revolution gehört auch die Herrschaft des Rechts und vor allem die Gewaltenteilung.“ Ägypten müsse wissen, dass auch der Investitionsstrom geringer werden würde, sollte sich das Land international isolieren. Die Errungenschaften der Revolution dürften nicht aufs Spiel gesetzt werden, sagte er bei einer Matinée der Wochenzeitung „Die Zeit“ weiter.