Verbaler Schlagabtausch zwischen der Kanzlerin und dem Kremlchef in Moskau

Moskau. Klartext im Kreml: Mit deutlichen Worten hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin die Repressionen gegen Oppositionelle kritisiert. Sie sehe eine Reihe von Gesetzen in Russland, von denen sie nicht erkennen könne, dass sie die Freiheit der Menschen beförderten. "Wir fragen uns, ob das gut für die Entwicklung der russischen Gesellschaft ist oder nicht", sagte Merkel in Moskau. Putin wies alle Vorwürfe zurück. Kritiker werfen dem Präsidenten vor, seit seiner Rückkehr in den Kreml im Mai die Daumenschrauben bei seinen politischen Gegner mit Gesetzen massiv anzuziehen.

Die deutsch-russischen Beziehungen gelten derzeit als angespannt. Vor wenigen Tagen hatte der Bundestag Merkel in einem Beschluss zu einer kritischen Haltung gegenüber Putin aufgefordert. Kremlsprecher Dmitri Peskow verwahrte sich gegen die "anti-russische Rhetorik".

Merkel sprach auch die international umstrittene Haftstrafe für zwei junge Frauen der kremlkritischen Punkband Pussy Riot an. In Deutschland würde ein Protest in einer Kirche zwar ebenfalls Debatten auslösen - die Sängerinnen würden aber nicht zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt, sagte die Kanzlerin beim Diskussionsforum "Petersburger Dialog". Putin betonte auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa, er sei zwar kein Experte für deutsches Recht. Er habe aber gehört, dass in Deutschland auf eine ähnliche Aktion bis zu drei Jahre Haft stünden.

Es war Merkels erster Besuch in Moskau seit den Massendemonstrationen gegen Putin im vergangenen Winter und dessen Rückkehr in den Kreml im Mai. Beide schenkten sich nichts. Er spielte im Beisein der deutschen Kanzlerin auf eine Aktion eines Pussy-Riot-Mitglieds von 2008 an und warf der Gruppe Antisemitismus vor. "Wir beide können keine Menschen unterstützen, die antisemitische Positionen einnehmen", sagte Putin. Der Anwalt der Frauen reagierte empört. Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne) nannte Putin einen dreisten Lügner.

Die Kanzlerin bat Putin, ihre offenen Worte nicht als Angriff zu verstehen. "Das ist nicht destruktiv gemeint." Kritik sei Ausdruck eines offenen Umgangs zwischen Partnern. Zu den 14. deutsch-russischen Regierungskonsultationen begleiteten Merkel acht Minister, drei Staatssekretäre und eine Wirtschaftsdelegation. Deutsche und russische Unternehmen schlossen zahlreiche Verträge. Die Deutsche Börse vereinbarte eine Zusammenarbeit mit der Börse Moskau.

Merkel will sich in Brüssel dafür einsetzen, bei der angeordneten Entflechtung im Gassektor zwischen Lieferanten und Pipeline-Betreibern flexibel vorzugehen. Dies betreffe vor allem die Nord-Stream-Pipeline, durch die Gas aus Russland nach Westeuropa geliefert wird, sagte Merkel. Hintergrund ist eine EU-Vorgabe, dass Pipelines auch für Konkurrenten geöffnet werden müssen. "Die Sache ist relativ einleuchtend, wenn es Wettbewerb gibt", betonte Merkel. Dies sei aber bei der Ostsee-Pipeline nicht der Fall. Weil kein zweiter Lieferant existiere, der eine Röhre benutze, werde sie sich in Brüssel für eine flexible Lösung einsetzen.

Russland und Deutschland verbindet seit Jahren eine sogenannte Modernisierungspartnerschaft. Kritiker wie der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), stellen aber das ehrgeizige Projekt offen infrage. "Ich habe den Eindruck, dass die jetzige Führung in Moskau den Begriff Modernisierung technisch versteht, aber bei uns umfasst das auch einen demokratischen Staat", sagte Schockenhoff in Moskau.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) und sein Amtskollege Sergej Lawrow beschlossen im Beisein von Merkel und Putin Visumerleichterungen zum Jugendaustausch. Putin forderte erneut die völlige Abschaffung der Visumpflicht. Die Vergabepraxis sei ein Hemmnis für die Beziehungen Russlands mit der EU, sagte er.

Erst am vergangenen Mittwoch war in Russland ein verschärftes Hochverratsgesetz in Kraft getreten. Damit können russische Bürger ohne großen Aufwand als Spione beschuldigt werden.

Im blutigen Syrienkonflikt sieht Kremlchef Putin derzeit keine Notwendigkeit für eine Diskussion über das Schicksal des Präsidenten Baschar al-Assad. Zunächst müsse über die Zukunft der ethnischen und religiösen Gruppen in dem arabischen Land entschieden werden, sagte Putin. Sonst drohe in Syrien ein chaotisches Szenario wie in Libyen.