Kanzlerin Angela Merkel lieferte sich mit Kremlchef Wladimir Putin einen überraschend offenen Schlagabtausch um Menschenrechte.

Moskau. Klartext im Kreml: Mit deutlichen Worten hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin Repressionen gegen die Opposition kritisiert. Als Beispiel nannte Merkel die international umstrittenen Haftstrafen für Mitglieder der Punkband Pussy Riot. „Wir fragen uns, ob das gut für die Entwicklung der russischen Gesellschaft ist oder nicht“, sagte sie am Freitag in Moskau. Putin wies alle Vorwürfe zurück. Kritiker werfen dem Präsidenten vor, in seiner dritten Amtszeit mit restriktiven Gesetzen massiv gegen politische Gegner vorzugehen.

Bei aller Deutlichkeit sah Merkel die bilateralen Beziehungen nicht beschädigt. „Ich fahre in dem Gefühl nach Hause, dass es immer gut ist, miteinander zu sprechen“, sagte die Kanzlerin. Allerdings sehe sie eine Reihe von Gesetzen in Russland, von denen sie nicht erkennen könne, dass sie die Freiheit der Menschen beförderten. Es war Merkels erster Besuch in Moskau seit den Massenprotesten gegen Putin im vergangenen Winter und dessen Rückkehr in den Kreml im Mai.

Die deutsch-russischen Beziehungen gelten derzeit als angespannt, nachdem der Bundestag Merkel in einem Beschluss zu einer kritischen Haltung gegen Putin aufgefordert hatte. Kremlsprecher Dmitri Peskow verwahrte sich gegen die „antirussische Rhetorik“.

Für Wirbel sorgte Putin mit Antisemitismus-Vorwürfen gegen ein Mitglied von Pussy Riot. Der Anwalt der Frauen reagierte empört. Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne) nannte Putin einen dreisten Lügner. Die kritisierte Kunstaktion von 2008 habe sich vielmehr gegen Antisemitismus, Homophobie und Fremdenhass gerichtet.

Die Kanzlerin bat Putin, ihre offenen Worte nicht als Angriff zu verstehen. Kritik sei Ausdruck eines offenen Umgangs zwischen Partnern. An dem Treffen im Rahmen des Petersburger Dialogs nahmen auch zahlreiche Persönlichkeiten wie Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow teil. Am Abend besuchte Merkel einen Empfang in der Residenz des Deutschen Botschafters. Dazu waren auch Menschenrechtler wie die Leiterin der Moskauer Helsinki Gruppe, Ljudmila Alexejewa, eingeladen. Anschließend wollte Merkel nach Berlin zurückreisen.

Zu den 14. bilateralen Regierungskonsultationen begleiteten Merkel acht Minister, drei Staatssekretäre und eine Wirtschaftsdelegation. Deutsche und russische Unternehmen schlossen mehrere Verträge. So soll Siemens fast 700 E-Loks im Gesamtwert von 2,5 Milliarden Euro für die Staatsbahn RZD bauen. Hinzu kommt ein Abkommen mit einem Stromnetzbetreiber über Transformatoren für 350 Millionen Euro. Die Deutsche und die Moskauer Börse vereinbarten eine Zusammenarbeit.

Russland und Deutschland verbindet seit Jahren eine sogenannte Modernisierungspartnerschaft. Allerdings prangerte zuletzt der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), unter anderem ein verschärftes Hochverratsgesetz an, mit dem Bürger ohne großen Aufwand als Spione beschuldigt werden können. Dafür hatte ihn das russische Außenministerium scharf kritisiert.

Putin forderte erneut die völlige Abschaffung der Visapflicht zwischen Russland und der Europäischen Union. Die Vergabepraxis sei ein Hemmnis für die bilateralen Beziehungen, sagte er. Angesichts eines EU-Kartellverfahrens gegen den Staatskonzern Gazprom nannte Putin die Energiepolitik der Europäischen Union „schädlich“. Zugleich zeigte er sich hinsichtlich einer Lösung der Euro-Schuldenkrise zuversichtlich. Russland habe keine Zweifel, dass die Europäische Union und der Euro lebensfähig seien, sagte Putin. Thema der Gespräche waren auch die Krisen im Nahen Osten.

Dass Putin und Merkel – angeblich auf Bitten des Kreml – im Sitzen auf die Pressefragen antworteten, entfachte das Rätselraten um die angeschlagene Gesundheit des Kremlchefs neu. Putins Sprecher Peskow hatte eingeräumt, dass der Hobbysportler eine leichte Verletzung erlitten habe.