Die Bundeskanzlerin Angela Merkel macht den Gastgebern Mut. Doch im Volk wachsen Zweifel am Erfolg des Reformkurses - und der Protest.

Lissabon. Ausgerechnet eine alte Festung wählte der portugiesische Gastgeber Pedro Passos Coelho für sein Treffen mit Angela Merkel (CDU) aus. Im "São Julião da Barra", rund sechs Kilometer entfernt von der Lissabonner Innenstadt, empfing Portugals Regierungschef die deutsche Bundeskanzlerin. Eine Festung, in der das Verteidigungsministerium untergebracht ist - das passte zur Atmosphäre, die während Merkels erstem offiziellen Besuch in Portugal herrschte. Der Luftraum war gesperrt, die Polizei hatte fünf Hundertschaften im Einsatz, sogar die Filialen der Deutschen Bank wurden von Sonderkommandos bewacht.

Dabei kam es dann nicht so schlimm - weder für die Besucherin noch für die Portugiesen. Die Proteste blieben zunächst friedlich, und Merkels Botschaft freundlich. Sie war nach Lissabon gekommen, um die Portugiesen auf ihrem Kurs zu bestärken, sie zum Durchhalten zu ermuntern und ihnen weitere Unterstützung Europas zu versichern. Die Kanzlerin hatte eine Unternehmerdelegation dabei, die Hoffnung auf Investitionen machte, die das südeuropäische Land so dringend braucht.

Merkel lobte die Sparanstrengungen Portugals. "Ich glaube, dass sich Portugals Bedingungen für Wachstum durch das Anpassungsprogramm und durch das mutige Handeln der Regierung sehr verbessert haben", sagte sie. Sie wisse, dass die Reformen für die Menschen hart seien, sagte Merkel. Sie spüre aber Geschlossenheit in dem Land, die notwendigen Anpassungen zu realisieren. Deutschland werde helfen, etwa bei der Berufsausbildung junger Menschen. Schon am Abend vor ihrem Eintreffen hatte Merkel versucht, die Stimmung aufzuhellen. In einem Interview mit dem portugiesischen Staatssender RTP sandte sie ihre Botschaft: Die Reformen werden sich lohnen. Portugal werde kein neues Hilfspaket benötigen. Wohl aber müsse das Land schmerzhafte Entscheidungen treffen. Genau in diesem Punkt ist die Geduld der Mehrheit der Portugiesen inzwischen jedoch erschöpft.

Merkels Besuch kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. Wie kein anderes Land versucht Portugal, das im Mai letzten Jahres beim Rettungsschirm EFSF ein Hilfspaket in Höhe von 78 Milliarden Euro beantragte, die strengen Auflagen der Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission zu erfüllen. Doch bisher zeigt die bittere Medizin kaum Wirkung. Zwar sinken die Arbeitskosten und die Exporte steigen leicht. Doch das kann die wegbrechende Binnennachfrage nicht ersetzen. Die Wirtschaftsleistung wird dieses Jahr um drei Prozent zurückgehen, gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit auf fast 16 Prozent gestiegen. Unter diesen Bedingungen ist es der liberal-konservativen Regierung kaum möglich, das Haushaltsdefizit auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu drücken. Sie will mit weiteren Kürzungen und Steuererhöhungen gegensteuern - doch dagegen regt sich in der Bevölkerung massiver Protest.

Bisher hatten die Portugiesen die Reformen relativ geduldig ertragen. Jetzt droht die Stimmung zu kippen. Das hat man auch in der Bundesregierung mit Sorge registriert. Insofern sollte der Besuch Merkels auch eine Ermutigung sein und ein Zeichen, dass man dem Land weiter helfen wird. Die Kanzlerin weiß, dass sich die Euro-Rettung in Portugal entscheiden kann. Griechenland hat man als Sonderfall deklariert, aber mit Portugal fraß sich die Krise tief in die Währungsunion vor.

Lissabon war die dritte Station Merkels bei ihrer Tour durch Europas Krisenstaaten. Anfang September war sie in Madrid, einen Monat später in Athen. Ebenso wie in Griechenland wurde die Kanzlerin, die im Süden Europas inzwischen als unliebsame Sparmeisterin empfunden wird, nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Aus vielen Fenstern baumelten schwarze Fahnen, sie symbolisierten die Trauer über die Austeritätspolitik, die die Portugiesen nicht länger ertragen wollen.

Immerhin kam es bis zum frühen Abend nicht zu gewaltsamen Ausschreitungen wie kürzlich in Athen. "Wir sind im Grunde ein friedliebendes Volk, Portugal ist eben nicht Griechenland", sagte ein Student. Vor dem Belem-Palast, wo Merkel zu einer halbstündigen Audienz mit Staatspräsident Anibal Cavaco Silva zusammentraf, hatten sich gegen zwölf Uhr Mittag nur etwa drei Dutzend Demonstranten versammelt. "Es wird Blut fließen", "Go to hell" war auf den Transparenten zu lesen. So mancher der Wartenden wusste nicht, ob er Deutschlands Kanzlerin sehen werde oder nicht, doch das spielte keine Rolle. "Ich bin nicht hier, um Merkel zu sehen, sondern um gegen die gravierenden Einschnitte ins Sozialsystem zu demonstrieren", sagte eine junge Demonstrantin.

Die Kanzlerin hatte vor ihrer Visite offenbar mit Schlimmerem gerechnet. In den letzten Tagen hatten viele Medien des Landes bewusst anti-deutsche Töne angeschlagen. "Merkel in Portugal, warum es uns gefällt, die Deutschen zu hassen", titelte das Wochenblatt "Visâo"; als "Frau, die in Portugal bestimmt", wurde sie vom ebenfalls wöchentlich erscheinenden Konkurrenten "Sábado" bezeichnet.