Abendblatt-Redakteur Christoph Rybarczyk kommentiert die US-Wahl. „Mit Obama ist Verlässlichkeit und Berechenbarkeit im Weißen Haus.”

Hamburg. Das Projekt „Wandel“ (Change) geht in die Verlängerung. Die Amerikaner haben sich für den Mann entschieden, der ihnen ein modernes Land verspricht, das allerdings eine Spur „sozialistischer“ wird, wie die Gegner von Barack Obama das nennen. Der alte und neue Präsident muss sich dieses Etikett ankleben lassen. Nach diesem Wahlsieg als enges Finale eines erbittert geführten Wahlkampfes wird er das verschmerzen. Dabei meint es nicht mehr als einen Hauch Sozialstaat, wie man ihn in Europa kennt. Einen Hauch staatlicher Unterstützung, wenn die Wirtschaft aus sich selbst heraus keinen Antrieb mehr für Jobs und Konjunktur geben kann. Auch das ist der Wandel, den Obama in den ersten vier Jahren seines beinahe fruchtlosen Wirkens befördert hat: den in den Köpfen der Amerikaner.

Natürlich haben sie immer an sich geglaubt, selbstbewusst, wie sie seit ihrer Loslösung vom britischen Empire sind. Doch die amerikanische Seele hat gelitten unter den Kriegen, den Kosten, unter den Immobilien-, Finanz- und Identitätskrisen. Während in Apple, Google und Facebook noch immer die weltweit innovativsten und bewundertsten Firmen aus dem Land der Freiheit kommen, liegen Industrie und Infrastruktur danieder. China hat Milliarden zwischen New York und San Francisco investiert, könnte von heute auf morgen den Dollar in die Höhe treiben oder auf Talfahrt schicken, dominiert Märkte und politische Entscheidungen rund um den Globus. Dieses China macht den Amerikanern Angst.

Und deshalb waren sie in Versuchung, einen Präsidenten ins Amt zu wählen, der brüllt statt zu überzeugen. Mitt Romney hätte die leisen, ersten Erfolge Obamas in der Aussöhnung mit früheren Feinden, in der Annäherung an Peking und im Umdrehen der Rezession wieder zunichte gemacht. Denn die USA sind gefangen zwischen Steuerentlastungen, Sparzwang und notwendigen Impulsen für die Wirtschaft. Diesen Teufelskreislauf hat Obama etwas entflochten. Seine Gesundheitsreform nahm Kranken die Angst und gab Arbeitnehmern mehr Sicherheit. Die gigantischen Konjunkturprogramme waren gegen die reine Lehre von ökonomischer Liberalität. Obama rettete die großen Autobauer, ließ Schulen, Brücken und Straßen reparieren, vergab staatliche Aufträge, um sich gegen die Rezession zu stemmen.

Die Arbeitslosigkeit sank leicht. Der Schuldenetat bleibt. Anders als beispielsweise Deutschland haben die USA ein Einnahmeproblem. Selbstredend dürfen nicht die zu stark zu belastet werden, die tatsächlich Jobs schaffen. Aber Romneys Plan, die Reichen weiter zu schonen, hätte zu mehr Kapital- als Substanzvermögen geführt – von den Folgen für den maroden Staatshaushalt zu schweigen. Der Abstieg von Millionen Mittelklasse-Amerikanern ist vorerst gestoppt. Der Raubtier-Kapitalismus drohte das Land unter einem Präsidenten Romney weiter zu spalten. Und die Krise fraß am Fundament der ältesten funktionierenden Demokratie der Welt.

Obama wird diejenigen mit der Mehrheit wieder versöhnen müssen, die sich als die wahren Amerikaner im Sinne der Tea-Party-Bewegung verstehen. Auch sie wollen sich repräsentiert sehen im politischen System. Mit der Blockade eines feindlich gesonnenen Kongresses wird der Präsident alle Hände voll zu tun haben. Anders als in seiner ersten Amtszeit muss er sich – ähnlich kämpferisch wie in der Endphase des Wahlkampfes – weitaus stärker in das Getümmel um jede Stimme für seine Politik im Kapitol stürzen.

Außenpolitisch wird die gewohnt ruhige Hand von Obama erwartet, was Krisen wie zuletzt in Libyen oder aktuell in Syrien betrifft. Obama unterstützt die syrische Opposition mit vertretbarer Hilfe. Keine Intervention, keine offenen Waffenlieferungen, keine Flugverbotszone wie in Libyen. Auch Israel wird mit Argusaugen darauf achten, dass die USA fest an der Seite Jerusalems stehen. Dort wird ebenfalls demnächst gewählt. Der Streit um eine mögliche atomare Bewaffnung des Iran belastet das amerikanisch-israelische Verhältnis. Bislang hat sich Obama klug verhalten. Die Falken in Israel beschwichtigt er, an seiner Treue zu Jerusalem lässt er zumindest verbal keinen Zweifel. Die Drohungen und das Embargo gegen Teheran zeigen erste Wirkungen.

Und dass Obama unbarmherzig gegen die Feinde der Freiheit vorzugehen gewillt ist, hat er mit seiner Risikobereitschaft bei der Ermordung Osama Bin Ladens bewiesen.

Amerika steuert unter Obama auf einen Konsolidierungskurs zu. Die innenpolitischen Querelen werden sicher nicht abnehmen. Der Präsident mag in seiner ersten Amtszeit die Euphoriker enttäuscht haben. Aber mit Obama haben Verlässlichkeit und Berechenbarkeit ihren Platz im Weißen Haus.