Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger spricht die Probleme bei Besuch in Ankara offen an

Ankara. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht noch einige rechtsstaatliche Defizite in der Türkei. Bei einem Besuch in der Hauptstadt Ankara sagte die FDP-Politikerin, es gebe Schwächen bei der Meinungs- und Pressefreiheit. Problematisch seien auch überlange Untersuchungshaftzeiten und Massenprozesse. Deutschland erkenne aber auch die Fortschritte an, die das Land bei seinen Justizreformen gemacht habe. Ihr türkischer Amtskollege Sadullah Ergin äußerte Unverständnis für solche Kritik, die auch aus der EU kommt.

Die Türkei will Vollmitglied der EU werden. Die Verhandlungen kommen aber nicht voran - nicht zuletzt wegen Defiziten im türkischen Rechtssystem. Die Gespräche laufen seit Jahren und stecken derzeit in einer Sackgasse. Auch der jüngste EU-Fortschrittsbericht beanstandete rechtsstaatliche Mängel in der Türkei.

Ergin beklagte sich nach einem Treffen mit Leutheusser-Schnarrenberger über die Urteile aus der EU. "Das ist so, wie wenn ein Lehrer seinen Schüler fragt, warum er seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, obwohl er gar keine Hausaufgaben aufgegeben hat", kritisierte er. Sein Land habe bereits wichtige Reformen hinter sich gebracht. Er betonte aber, die Türkei tue dies für ihre Bürger - und nicht, um Lob von der Europäischen Union zu bekommen.

Leutheusser-Schnarrenberger hielt dagegen, Grundrechte wie die Pressefreiheit seien für einen EU-Beitritt wichtig. Sie sprach auch kritisch die weitreichende Anti-Terror-Gesetzgebung in der Türkei an, die nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen dafür missbraucht wird, um kritische Journalisten zu inhaftieren.

Vorwürfe der türkischen Regierung, Deutschland gehe nicht entschlossen genug gegen Anhänger der als terroristisch eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK vor, wies die Ressortchefin zurück. "Wir sind kein Rückzugsraum für PKK-Täter", betonte sie. "Außerdem ist die PKK auch in Deutschland verboten." Die Bundesregierung sei in der Frage zur Zusammenarbeit bereit. Grundlage sei aber die deutsche Rechtsordnung.

Auf dem Programm ihres Besuchs in Ankara standen auch Treffen mit dem Parlamentspräsidenten Cemil Cicek, dem Präsidenten des Verfassungsgerichts, Hasim Kilic, dem Chef der türkischen Anwaltskammer, Vedat Ahsen Cosar, sowie religiösen Vertretern.

Leutheusser-Schnarrenberger sprach unter anderem mit Aleviten, die eine Diskriminierung durch die türkische Regierung beklagen. Die Glaubensgemeinschaft hat ihren Ursprung im schiitischen Islam. In der Türkei leben laut Schätzungen 20 Millionen Aleviten. Sie sind dort jedoch nicht offiziell anerkannt. Die Justizministerin besuchte ein Gebetshaus der Aleviten und mahnte, die Menschen müssten ihre Religion frei ausüben können, ohne dass der Staat sich einmische.

Von der obersten Religionsbehörde im Land, dem Amt für religiöse Angelegenheiten, bekam Leutheusser-Schnarrenberger derweil ein Lob für ihren Gesetzentwurf zur Beschneidung. Der Chef der Behörde, Mehmet Görmez, würdigte den Einsatz der FDP-Frau. "Ich war mir sicher, dass Sie sich für unsere Interessen und unsere Rechte einsetzen würden", sagte er.

Ein Kölner Gericht hatte die Beschneidung von Jungen, wie sie bei Muslimen und Juden praktiziert wird, vor einigen Monaten als Körperverletzung gewertet. Die Justizministerin hatte daraufhin eilig eine gesetzliche Regelung auf den Weg gebracht, um die Rechtslage klarzustellen. Demnach bleibt der Eingriff erlaubt. Leutheusser-Schnarrenberger ist noch bis morgen in der Türkei. Heute will sie in Kilis nahe der türkisch-syrischen Grenze ein Camp für Flüchtlinge aus Syrien besuchen. Zum Abschluss ihrer viertägigen Reise ist ein Stopp in Istanbul geplant.