Zehntausende gehen nach dem Mord an Geheimdienstgeneral Hassan, einem Gegner des syrischen Staatschefs Assad, auf die Straße.

Hamburg/Beirut. Es war der "Tag des Zorns" im Libanon, jenem kleinen zwischen den Feinden Israel und Syrien eingeklemmten Staat. Tausende Libanesen, zumeist Anhänger der anti-syrischen Bewegung 14. März, waren schon seit Tagesanbruch in die Hauptstadt Beirut geströmt, um dem bei einem verheerenden Bombenanschlag ermordeten Geheimdienstgeneral Wissam al-Hassan das letzte Geleit zu geben. Die Regierung verstärkte die Sicherheitsvorkehrungen im ganzen Land und stationierte Soldaten an wichtigen Plätzen und Kreuzungen. Auf dem Platz der Märtyrer in Beirut riefen die Menschen: "Wir wollen den Rücktritt dieser Regierung." Hunderte Demonstranten versuchten den Regierungssitz zu stürmen; die Polizei setzte Wasserwerfer ein.

Die angespannte Lage in der Region wurde zusätzlich verschärft durch einen Autobombenanschlag im Christenviertel der syrischen Hauptstadt Damaskus. Das Attentat mit 13 Toten und rund 30 Verletzten überschattete die Friedensmission des Uno-Sondergesandten Lakhdar Brahimi. Auch in Aleppo explodierte ein Sprengsatz.

General Hassan war am Freitag in Beirut im christlichen Viertel Aschrafijeh zur Hauptverkehrszeit durch eine Autobombe ermordet worden - bis zu neun Menschen starben mit ihm, bis zu 100 wurden zum Teil schwer verletzt. In der betroffenen Straße liegt das Hauptquartier der christlichen Falange-Partei, die zu den Gegnern des syrischen Staatspräsidenten zählt. Ein Gebäude wurde schwer beschädigt.

Hassan galt als erbitterter Gegner des syrischen Despoten Baschar al-Assad, der unter anderem über die mit ihm verbündete Hisbollah massiv Einfluss auf die politischen Geschehnisse im Libanon nimmt. Assad war nach der Ermordung des prowestlichen und antisyrischen libanesischen Premierministers Rafik Hariri 2005 durch innen- und außenpolitischen Druck gezwungen worden, die 14 000 syrischen Soldaten aus dem Libanon abzuziehen.

Die Hisbollah führt eine prosyrische Regierungskoalition in Beirut an. Das Bündnis war 2011 an die Macht gekommen, nachdem Drusenführer Walid Dschumblatt die Seiten gewechselt hatte. Damit war die Regierung von Saad Hariri abgelöst worden - er ist der Sohn des ermordeten Premiers.

Die israelfeindliche und proiranische Partei und Terrororganisation Hisbollah steht im Verdacht, den Mord an Rafik Hariri per Autobombe im Auftrag Syriens arrangiert zu haben. General Hassan war an den Ermittlungen gegen die Hisbollah beteiligt und hatte zudem ein offenbar syrisches Komplott aufgedeckt, Sprengstoff für Anschläge im Libanon aus Damaskus in den Zedernstaat zu schmuggeln. Dass Hassan nun an der Seite von Hariri beigesetzt wurde, ist eine starke Botschaft der antisyrischen libanesischen Politik: Wir wissen, die Drahtzieher waren bei beiden Attentaten dieselben.

Der Mord an Hassan gefährdet den ohnehin sehr brüchigen Frieden im Libanon, der zwischen 1975 und 1990 Schauplatz eines grausamen Bürgerkriegs zwischen den Konfessionen und Parteien war. Regierungschef Nadschib Mikati bot Staatspräsident Michel Suleiman den Rücktritt des ganzen Kabinetts an, doch Suleiman bat ihn, vorerst im Amt zu bleiben. "Wir wollen jetzt kein Machtvakuum im Libanon", sagte der Präsident. Am Sonnabend hatte es vor allem in den Sunnitengebieten des Landes Massenproteste gegeben; die Demonstranten hatten Mikati zum Rücktritt aufgefordert. Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon rief besorgt bei Suleiman und Mikati an und sicherte ihnen die Unterstützung der Vereinten Nationen zu. Ban äußerte die Hoffnung, dass der Libanon sich nicht von "regionalen Ereignissen" beeinflussen lassen werde. Im Klartext: dass sich der Bürgerkrieg in Syrien nicht auf den Libanon ausweitet. Der Uno-Sicherheitsrat sprach von einem Versuch, den Libanon "mit politischen Hinrichtungen zu destabilisieren".

Libanons Polizeichef Aschraf Rifi schloss weitere Attentate gegen libanesische Politiker nicht aus. Dem gespaltenen Land stünden noch mehr Opfer bevor. "Wir wissen das. Aber wir lassen uns nicht brechen", sagte Rifi.

Derartige Attentate haben eine düstere Tradition im Libanon. Im November 2006 war der christliche und antisyrische Industrieminister Pierre Gemayel, Sohn des früheren Staatspräsidenten Amin Gemayel, ermordet worden. Amins jüngerer Bruder Beschir Gemayel war 1982 als Staatspräsident ermordet worden; Amin folgte ihm im Amt nach. Der Vater von Walid Dschumblatt, der Politiker Kamal Dschumblatt, war 1977 vermutlich vom syrischen Geheimdienst ermordet worden. Derzeit nähert sich Dschumblatt wieder der antisyrischen Opposition an.

Der Uno-Sondergesandte Lakhdar Brahimi drang unterdessen in Damaskus gegenüber Baschar al-Assad auf eine Waffenruhe während des am kommenden Freitag beginnenden islamischen Opferfestes in Syrien. Brahimi sagte, er habe Versprechen, aber keine Zusagen erhalten, und kündigte weitere Besuche in Damaskus an, um einen dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen. "Das syrische Volk erwartet mehr als nur eine wenige Tage dauernde Waffenruhe - und das ist auch sein Recht", sagte der Uno-Gesandte. Die syrische Nachrichtenagentur Sana teilte mit, Assad habe gegenüber Brahimi gesagt, er "sei offen für alle ernsthaften Anstrengungen, eine politische Lösung für die Krise zu finden - vorausgesetzt, dass die syrische Souveränität respektiert und eine ausländische Einmischung abgelehnt werde".

Nach Schätzungen sind in dem Bürgerkrieg bislang mehr als 33 000 Menschen ums Leben gekommen. Zehntausende sollen verschleppt worden sein; Hunderttausende sind auf der Flucht. Der ehemalige Uno-Generalsekretär und frühere Syrien-Sondergesandte Kofi Annan warnte im US-Sender CNN vor einem militärischen Eingreifen in Syrien. Die Lage dort sei sehr viel komplexer als in Libyen und könne durch eine Intervention von außen noch verschlimmert werden.

Der Bombenanschlag, der sich während der Visite von Brahimi ereignete, war offenbar gegen die Polizeistation im Altstadtviertel Bab Tuma gerichtet. Der Sprengsatz war in einem Taxi versteckt. Wie Augenzeugen berichteten, waren die Gehwege von Blut bedeckt.