Im zweiten TV-Duell kann der Präsident seinen Herausforderer der Lüge überführen. Schnellumfragen bescheinigen ihm einen Punktsieg

Washington. Präsident Barack Obama und sein Herausforderer Mitt Romney haben in einem hitzigen, zeitweise die Grenze zur Unhöflichkeit verletzenden TV-Duell ihre Anhänger begeistert - als Sieger ging jedoch keiner klar hervor. Es wird Tage dauern, um in Umfragen die bei der Wahl am 6. November entscheidende Wirkung auf noch beeinflussbare Wähler zu ermitteln. Schnellumfragen von CNN und CBS ermittelten nach der Debatte Obama als Sieger mit 37 zu 30 Prozent (CBS) und mit 46 zu 39 Prozent (CNN). Zum dritten und letzten TV-Duell werden sich Obama und Romney am 22. Oktober in Florida im Zeichen der Außenpolitik gegenüberstehen.

Präsident Obama war ab der ersten Minute nicht als der Mann wiederzuerkennen, der beim ersten Streitgespräch am 3. Oktober kampflos aufgegeben hatte. Laut Umfragen kostete ihn dieser rätselhaft lustlose Auftritt seinen Vorsprung in der Wählergunst. Obama musste punkten. Und er tat es mit dem einzigen Treffer, der aber einem Niederschlag gleichkam. Der Präsident überführte den republikanischen Kandidaten im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Botschaft in Bengasi der Unwahrheit: Romney hatte behauptet, Obama habe am Tag danach nicht von einem Terrorakt gesprochen. Obama wehrte sich, und ein Verweis der Moderatorin auf das Transkript gab ihm Recht: "Keine Terrorakte werden die Entschlossenheit dieses Landes je erschüttern", hatte Obama im Rosengarten gesagt. Die Glaubwürdigkeit Mitt Romneys bei den folgenden Antworten war für die nächsten Minuten erheblich beschädigt. Das Publikum im Saal brach sein Schweigegelübde und applaudierte spontan dem Präsidenten.

In den meisten Wortwechseln über 90 Minuten folgten jedoch gegenseitige Behauptungen, die weder von den Wählern im Saal noch vom Fernsehpublikum überprüft werden konnten. Körpersprache und Ton waren aufschlussreicher; bisweilen hatte man das Gefühl, nur die Kameras hielten die beiden Männer davon ab, handgreiflich oder zumindest grob beleidigend zu werden. Romney verfolgte den Präsidenten auf der Bühne, rückte ihm auf den Leib und fiel ihm ins Wort. Beide Herren streckten ihre Zeigefingern in des anderen Gesicht und funkelten einander zornig an. Einmal musste Mitt Romney von der CNN-Moderatorin Candy Crowley aufgefordert werden, zu seinem Hocker zurückzukehren. Mitt Romney, der in der ersten Debatte den schwachen Moderator Jim Lehrer sofort entmachtete und die "Gesprächsleitung" nicht mehr abgegeben hatte, fand diesmal Widerstand von Obama und Crowley.

Kommt ein solches Verhalten beim amerikanischen Wähler an? Umfragen ergeben ein ähnlich widersprüchliches Bild wie bei negativen Wahlspots: Die Bürger bekunden, sie nicht leiden zu können, reagieren aber wie gewünscht. "To be aggressive" ist in Amerikas Alltagskultur Kompliment und Bedingung für den Sieg. Nie aufzugeben ist Teil des ewigen Western-Mythos; selbst Frauen, die aggressives Gebaren in Debatten angeblich nicht honorieren, wünschen sich einen starken Präsidenten, keinen schlappen Gutmenschen.

Obama wie Romney sind routiniert genug, direkte Fragen der Wähler nicht zu beantworten. Beide korrigierten einander ständig noch einmal, als die nächste Frage schon ein neues Thema vorgab. Beide beklagten sich, nicht so viel Zeit zu bekommen wie ihr Gegner. (Am Ende hatte der Präsident vier Minuten länger gesprochen.)

Was begehrten die Wähler von Obama und Romney zu wissen? Ein Student fragte nach seinen Berufschancen auf einem schwierigen Arbeitsmarkt; eine Latina wollte wissen, wie beide zu den zwölf Millionen (illegalen) Einwanderern im Land stehen; ein Mann wollte wissen, was der nächste Präsident gegen den zu hohen Benzinpreis zu tun gedenke; eine Frau beklagte ungleichen Lohn für dieselbe Arbeit wie Männer; eine andere fragte, wie die Herren es mit dem Recht, Waffen zu tragen, hielten.

Barack Obama hatte Gesetze und seine Prioritäten zu verteidigen oder von Republikanern im Kongress verhinderte Initiativen zu kritisieren. Mitt Romney nutzte geschickt fast jede der zehn Fragen, um seine Hauptbotschaft - er senkt Steuern für alle und schafft Arbeitsplätze - abermals loszuwerden. Niemand kann mit dem Zustand der US-Wirtschaft und der schwachen Erholung auf dem Arbeitsmarkt zufrieden sein. Barack Obama weiß das.

Der Präsident hatte deshalb seine besten Momente, als er sein Engagement für die Rechte der Frauen, im Berufs- wie Privatleben, und für die jungen Einwanderer (Dream Act) hervorhob. Er erläuterte fundamentale Unterschiede zwischen ihm und Romney in der politischen Philosophie, und er erinnerte den Republikaner mehr als einmal an widersprüchliche Positionen, die er in seinem früheren Leben als halbwegs liberaler Gouverneur von Massachusetts oder als stramm rechter Wahlkämpfer in den Vorwahlen seiner Partei vertreten hatte. Als Romney die Umweltauflagen der Obama-Regierung als "Jobkiller" der Kohleindustrie anklagte, schilderte Obama süffisant, wie Gouverneur Romney einst neben einem stillzulegenden Kraftwerk gestanden und gesagt hatte: "Dieses Werk tötet!"

In seinem Schlusswort beschwerte sich Romney etwas säuerlich, dass er seit Monaten persönliche Angriffe Barack Obamas erdulden müsse. Obama nutzte seine letzten zwei Minuten, an die berüchtigte 47-Prozent-Rede Mitt Romneys vor steinreichen Spendern zu erinnern. All die von Romney damals als Sozialschmarotzer denunzierten Veteranen, Rentner, Studenten, Soldaten hätten einen Präsidenten verdient, der für sie kämpfe. Es blieb Barack Obamas letztes, unwidersprochenes Wort des Abends. Er hatte bei seinem Bewerbungsgespräch gepunktet; eine zwingende Vision für die nächsten vier Jahre bot er nicht.