Israels Premier hat Neuwahlen angekündigt, nachdem sich seine Koalition nicht auf Haushalt einigen konnte. Umfragen sehen ihn vorn.

Tel Aviv. Erst am Dienstagabend hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz Neuwahlen angekündigt. Nur wenige Stunden später befindet sich Israel bereits im Wahlkampffieber. Die Parteien organisieren sich, die Politiker positionieren sich und der Ton wird schärfer. Da die Sondierungsgespräche mit den Koalitionsparteien gezeigt hätten, dass eine Einigung über den Haushalt für das Jahr 2013 nicht möglich sei, müsse nun "so schnell wie möglich gewählt werden", hatte Netanjahu gesagt. Das Land stehe vor großen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen, ein langer Wahlkampf könne dem Land da nur schaden.

Überraschend kam die Entscheidung nicht. Knesset-Sprecher Reuwen Riwlin hatte schon in der vergangenen Woche zu Neuwahlen aufgerufen und die Abgeordneten aufgefordert, das Parlament nach dem Ende der Sommerpause am 15. Oktober aufzulösen. Auch Außenminister Avigdor Lieberman hatte Netanjahu gewarnt, eine Mehrheit für den Haushalt sei unwahrscheinlich. Wenn Netanjahu Neuwahlen halten wolle, solle er das so früh wie möglich tun. Planmäßig hätte im Herbst 2013 gewählt werden sollen, auch deshalb zeigten sich die Parteien bei den Haushaltsverhandlungen wenig flexibel. Es falle in einem Wahljahr eben besonders schwer, die nationalen Interessen über parteipolitische Interessen zu stellen, sagte auch Netanjahu fast verständnisvoll. Besonders die orthodoxen Parteien waren in ihrer Opposition zu drastischen Sparmaßnahmen am Sozialsystem vollkommen unnachgiebig.

Während Netanjahu es nun wohl auf einen möglichst frühen Wahltermin anlegt - seine Vertrauten sprechen gar vom 15. Januar -, kämpfen die Oppositionsparteien für mehr Zeit zur Vorbereitung. Die Vorsitzende der Arbeitspartei, Schelly Jachimowitsch, schrieb auf ihrer Facebook-Seite, Wahlen vor dem 29. Januar seien nicht denkbar. Bei der Kadima-Partei des ehemaligen Verteidigungsministers und Armeechefs Schaul Mofas denkt man lieber gleich an Februar oder März. Ob das der zerstrittenen Partei helfen kann, ist unklar.

Heute stellt Kadima mit 30 Sitzen die stärkste Fraktion in der Knesset, doch im Falle von Neuwahlen sagen Umfragen der Partei einen Absturz auf acht bis zwölf Mandate vorher. Im Mai dieses Jahres hatte Netanjahu schon einmal Wahlen ausgerufen, nur um kurz darauf in einer überraschenden Kehrtwende den Koalitionseintritt der Kadima-Partei zu verkünden und die Wahlen wieder abzusagen. Die Koalition hielt nur knapp zwei Monate, aber die ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit ihres Parteichefs wurde durch die Episode weiter untergraben.

Doch schlimmer steht es um Ehud Barak. Der heutige Verteidigungsminister könnte von der politischen Bühne verschwinden. Für Barak ist dieser Wahlkampf ein Kampf um sein politisches Überleben. Es ist unklar, ob seine Atzmaut-Partei es überhaupt in die Knesset schaffen wird. Hat sich der ehemalige Arbeitspolitiker deshalb in einem New Yorker Hotelzimmer mit der ehemaligen Kadima-Chefin Tzipi Livni getroffen? Nachdem sie monatelang wie ein Herz und eine Seele schienen, ritten Netanjahu und Barak in den vergangenen Tagen wüste Attacken gegeneinander. Barak soll sogar einen Vertrauten zur Arbeitsparteivorsitzenden Jachimowitsch geschickt haben, um in Erfahrung zu bringen, ob er in einer Linksregierung mit einem Ministerposten rechnen könne.

Allerdings müsste die Arbeitspartei dafür erst einmal die Wahlen gewinnen. Die sozialen Unruhen des vergangenen Jahres haben der alten Dame der zionistischen Bewegung zwar zu neuer ideologischer Frische verholfen. Parteichefin Jachimowitsch versucht nun das Augenmerk auf die von Netanjahu angekündigten Einschnitte im Sozialsystem zu lenken. "Diese Wahlen werden entscheiden, ob wir das brutale Wirtschaftssystem des Dschungels oder soziale Gerechtigkeit bekommen werden", ging sie auf ihrer Facebook-Seite zum Angriff über. Umfragen sehen die Arbeitspartei bei bis zu 20 Mandaten. Das ist zwar eine deutliche Verbesserung gegenüber den acht Sitzen heute, dem Likud von Regierungschef Netanjahu kann die Awoda so aber immer noch nicht gefährlich werden. Nach heutigen Umfrageergebnissen könnte die regierende Rechtspartei 30 der 120 Knesset-Sitze auf sich vereinen. Im Gegensatz zur Arbeitspartei wird Netanjahu auch die Bedrohung durch das iranische Atomprogramm in den Mittelpunkt stellen. Gerade hat er vor der Uno-Vollversammlung angekündigt, im Frühjahr 2013 werde man eine Entscheidung über das weitere Vorgehen gegen den Iran treffen müssen. Sollte es Zufall sein, dass kurz davor in Israel gewählt wird?

Heute rechnet in Israel kaum jemand damit, dass Netanjahu und seine Likud-Partei die Wahlen verlieren werden. Könnte Netanjahus Vorgänger, der wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetretene Ehud Olmert, mit einem Comeback die Zentrumsparteien wieder attraktiv machen? In einem ersten Prozess wurde Olmert in den Hauptanklagepunkten freigesprochen, allerdings war er nie ein sonderlich beliebter Politiker gewesen und nach Ariel Scharons Schlaganfall eigentlich eher zufällig in das Amt gerutscht. Noch schlimmer: Ein weiteres Verfahren gegen ihn läuft noch. Auch die ehemalige Kadima-Chefin Tzipi Livni soll ein Comeback planen, lässt sich aber noch nichts anmerken. Es kursieren gar Gerüchte über die Gründung einer neuen Zentrumspartei, der ehemalige Generalstabschef Gabi Aschkenazi soll sich deshalb schon mit Olmert getroffen haben.

Allerdings herrscht zwischen Olmert, Livni, dem Chef der Zentrumspartei Jair Lapid und der Arbeitsparteivorsitzenden Jachimowitsch dicke Luft. Sie können sich untereinander nicht ausstehen. Es müsste ein Wunder geschehen, damit sie ihre persönlichen Interessen hintanstellen und ein politisches Bündnis bilden, das Netanjahu tatsächlich gefährlich werden könnte. So könnte also der alte Regierungschef auch der neue sein.