Trotz der Proteste haben sich die Kanzlerin und Regierungschef Samaras als Partner präsentiert

Athen. Eigentlich wollte Angela Merkel gar nicht nach Griechenland fliegen - sondern nach Tunesien. Ein Besuch in einem arabischen Land auf dem Weg in die Demokratie würde sich gut machen, dachte man sich noch im Sommer im Kanzleramt und hielt in der internen Vorplanung diesen Tag dafür frei. An Athen dachte zu diesem Zeitpunkt hingegen keiner: Die Griechen machten Wahlkampf und vertagten wichtige Reformen wieder einmal - auch im Kanzleramt gab es einige, die einen Austritt der Hellenen aus dem Euro bis Jahresende vorhersagten.

Dann kam alles ganz anders: Am 14. September brachen in Tunis überraschend Unruhen aus. Dort wollte sich die Kanzlerin nun doch nicht sehen lassen. Dafür aber - plötzlich - in Griechenland. Auch wenn die Regierung behauptet, Merkel habe schon beim Besuch von Ministerpräsident Antonis Samaras in Berlin am 24. August eine Gegeneinladung angenommen. Die konkrete Entscheidung, dass Athen den abgesagten Tunis-Termin bekommt, fiel erst in der vorvergangenen Woche. Warum jetzt - im dritten Jahre der Euro-Krise? Am Ende des Tages hatte Merkel darauf eine Antwort. Und Samaras auch eine - eine andere. An den beschlossenen Abkommen kann es eher nicht liegen. Die haben nur ein zweistelliges Millionenvolumen dafür setzt sich in Zeiten der Milliardenbürgschaften kein europäischer Politiker mehr in sein Flugzeug. Konkret geht es um Beratungsleistungen, die Deutschland im Gesundheitswesen und beim Aufbau einer Regionalverwaltung für Griechenland erbringen will. Das Geld dafür kommt aus Europa, die eigentlich obligatorische Kofinanzierung durch das Empfängerland war schon auf symbolische fünf Prozent abgeschmolzen - doch es brauchte noch Druck von Merkel, damit hier endlich etwas passiert.

Die andere entscheidende Zusicherung betraf die Kanzlerin persönlich: Im notorisch unruhigen Athen musste Angela Merkels Sicherheit garantiert werden. Wie ernst die griechischen Gastgeber diese Aufgabe nahmen, erfuhr die Kanzlerin unmittelbar nach ihrer Landung am Mittag. Im Mercedes von Samaras, der sie persönlich vom Flughafen abgeholt hatte, raste Merkel über leere Straßen ins Stadtzentrum. Die Regierung hatte die Hauptachsen Athens abgesperrt und Demonstrationen an Merkels Route verboten. Neben einer in der Stadt fast durchgängigen Postenkette konnten nur Anwohner einen Blick auf Merkel gewinnen - einige pfiffen in Trillerpfeifen, eine Plastikflasche flog in Richtung von Merkels Wagenkolonne.

"Das kann man nicht durch die Hintertür nennen, das ist der übliche Weg durch die Innenstadt", hatte Merkels Sprecher schon vorab die Behauptung zurückgewiesen, sie treffe nur griechische Politiker und Wirtschaftsführer, weiche aber dem Volk aus. Es gehe darum "gute europäische Normalität in nicht normalen europäischen Zeiten" zu demonstrieren, brachte Seibert den Besuch auf eine doch doppelbödige Formel. Nicht nur normal, sondern sogar gut soll das Verhältnis von Merkel zu Samaras mittlerweile sein. Das versuchte der griechische Ministerpräsident jedenfalls zu vermitteln. Im englischen Small Talk zeigt er Merkel sein Büro, die antwortete brav: "Nice Office", bevor sich die Türen für Kameras und Berichterstatter schlossen. So artig waren die beiden lange nicht miteinander umgegangen. Denn der früher als scharfer Nationalist aufgefallene Samaras galt der Kanzlerin lange als einer der Hauptverantwortlichen der griechischen Misere. Einst knöpfte sie sich ihn in Brüssel direkt vor und redete ihm auf einem Treffen konservativer Regierungschefs gemeinsam mit dem damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ins Gewissen. Vergeblich - Samaras blockierte als Oppositionsführer die Reformpolitik seiner sozialdemokratischen Konkurrenten und verweigerte die vom internationalen Währungsfonds geforderte "Regierung der nationalen Einheit". Merkel sprach daraufhin lange gar nicht mehr mit ihm.

Doch kaum gewählt, erfand sich Samaras Merkel gegenüber neu. Schon bei seinem ersten Anruf als Ministerpräsident soll er offen gesagt haben: Er habe gehört, Merkel mache sich Sorgen um Griechenland. Merkel soll genauso offen gesagt haben: Ja. Samaras versprach Strukturreformen und ging sie dann auch tatsächlich an. Die Vorgängerregierungen hatten hingegen ganz auf Sparmaßnahmen gesetzt. In Berlin, dessen Besuch er trotz eines Flugverbotes wegen einer Augenoperation nicht verschob, charmierte Samaras weiter, sprach von "ganz besonders konstruktiven Gesprächen", besuchte auch griechenlandkritische Medien und heimste tatsächlich einen unerwarteten Erfolg ein: "Ich will, dass Griechenland Teil der Euro-Zone bleibt", erklärte Merkel.

Tatsächlich hat die Kanzlerin irgendwann in diesem Spätsommer ihre Meinung über Griechenland geändert. Nie wollte sie als die Staatsfrau in den Geschichtsbüchern stehen, die Hellas aus dem Euro schmiss. Aber sie hielt lange für möglich, dass die pure Kraft des Faktischen - oder eine linksradikale Regierung in Athen - dies bewerkstelligen würde. Doch dann schwenkte sie um und legte sich fest: Griechenland soll nun doch im Euro bleiben. Merkel hält das Risiko eines Währungsaustritts in der jetzigen Situation der Weltwirtschaft für unkalkulierbar.

Das hat sich auch bis Athen herumgesprochen, und vielleicht hatte Samaras gehofft, den Verbleib seines Landes in der Euro-Zone mit einem Merkel-Besuch amtlich zu machen. "Heutzutage sind alle der Ansicht, dass Griechenland kein verlorener Fall ist", postulierte er nach dem Gespräch mit der Kanzlerin. Die Glaubwürdigkeit seines Landes sei gestiegen, dies "beweise" der Besuch der Kanzlerin. Merkel verstehe auch "dass das griechische Volk nicht mehr lange wird Opfer bringen müssen". Alle, die darauf gesetzt hätten, dass Griechenland die Euro-Zone verlassen müsse, "werden ihre Wette verlieren".

Merkel erkannte ihrerseits mehrmals die "Opfer" und "Leistungen" der Griechen an und lobte: Ein großer Teil des Weges sei zurückgelegt. Den Nachsatz, weitere Herausforderungen stünden aber noch an, betonte sie freilich stärker als Samaras. Finanzielle Zusagen machte sie keine - wie auch: Die Troika - Experten von IWF, EU-Kommission und EZB - prüft ja gerade, ob Athen überhaupt die Voraussetzungen für bereits vereinbarte Zahlungen erfüllt. Mit diesen Geldern käme Samaras immerhin bis ins Jahr 2014 - und Merkel könnte eine Eskalation der Euro-Krise vor der Bundestagswahl vermeiden. Bis dahin haben die beiden ungleichen Politiker also gemeinsame Interessen. Und danach? Auf die Frage nach dem Sinn ihres Griechenland-Besuches antwortete die Bundeskanzlerin, es sei für sie wichtig, "Dinge kennenzulernen und sich in Probleme einzuarbeiten". Samaras hatte sich eine deutlichere Botschaft gewünscht.