Auch gestern feuerten beide Seiten Geschosse über die Grenze. US-Verteidigungsminister Panetta warnt vor einer Ausweitung des Konflikts

Istanbul. Die Türkei droht immer mehr in den Strudel des Bürgerkriegs im benachbarten Syrien hineingerissen zu werden. Am Wochenende wurde der fragile Frieden zwischen den beiden Ländern erneut auf die Probe gestellt, als mehrere Granaten auf türkischem Boden einschlugen. Drei aus Syrien abgefeuerte Mörsergranaten detonierten in den Feldern um das türkische Dorf Güveççi, nur 50 Meter von der Grenze entfernt. Die Armee des Nato-Mitglieds feuerte zurück. Gestern Nachmittag gingen erneut türkische Geschosse in Syrien nieder, nachdem eine syrisches Granate nahe der Grenzstadt Akcakale detoniert war.

Die internationalen Partner sind besorgt. US-Verteidigungsminister Leon Panetta sagte nach Angaben des US-Senders CNN bei einem Besuch in Peru, die jüngsten Artillerieduelle gäben "Anlass zu zusätzlicher Sorge, dass sich dieser Konflikt ausweitet".

Gleichzeitig wurden heftige Kämpfe auf syrischer Seite zwischen Regierungstruppen und Rebellen vermeldet - im Ort Chirbet al-Dschoos, kaum zwei Kilometer von Güveççi entfernt. Rami Abdel Rahman von den syrischen Menschenrechtsbeobachtern sagte, die Armee habe mehrere Stützpunkte der Rebellen angegriffen, um die Kontrolle über die Grenze zurückzugewinnen.

Von dort droht nach Ansicht des Regimes von Präsident Baschar al-Assad viel Ungemach - Geld für die Rebellen, Waffen, feindliche Kämpfer. Erst am Vortag hatten syrische Staatsmedien gemeldet, dass bewaffnete Gruppen - unter ihnen viele Ausländer - aus der Türkei versucht hätten, in Syrien einzudringen. Sie seien aber gestoppt und viele getötet worden.

Von wem der Granatenbeschuss in Güveççi ausging, ist unklar. Zu unübersichtlich ist die Lage im Grenzgebiet. Da Journalisten von der syrischen Regierung nicht in die Krisenregionen gelassen werden, ist eine unabhängige Überprüfung der Berichte kaum möglich.

Nicht ausgeschlossen wird, dass Mörsergranaten absichtlich in die Türkei gefeuert werden - von Assad-Truppen oder auch von Rebellen, die die Türkei in den Krieg hineinziehen wollen. Oder es handelte sich schlicht und einfach um Fehlschüsse in der Hitze des Gefechts. Der Oppositionsaktivist Rami Abdel Rahman wollte dazu nicht Stellung nehmen.

Auch gestern wurde auf syrischer Seite wieder heftig gekämpft. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana zitierte aus dem Verteidigungsministerium in Damaskus, dass die Regierungstruppen alle Terroristen "eliminieren" und die Sicherheit wiederherstellen würden. Oppositionsaktivisten berichteten zudem über neue Kämpfe in Damaskus, Aleppo, Homs, Daraa und anderen Landesteilen. Der Konflikt im Landesinneren kostete den Angaben nach allein am Wochenende mehr als 200 Menschen das Leben.

Unterdessen hat die Türkei an der Grenze zu Syrien ein weiteres Flüchtlingslager in Betrieb genommen. Das Lager nahe der Stadt Akcakale sei das insgesamt fünfte, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Die Türkei hat seit Beginn der Aufstände im Nachbarland bereits mehr als 93 000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufgenommen. Gestern Mittag flohen erneut mehr als 400 Syrer über die Grenze. Unter ihnen seien zwei Generäle, so Anadolu. Die Regierung in Ankara hatte mehrfach betont, dass mehr als 100 000 Menschen nicht zu versorgen seien.