Präsident wirkt im ersten Fernsehduell im US-Wahlkampf müde, Herausforderer greift an

Denver. "Weitere vier Jahre!", skandieren die Plakate schwenkenden Obama-Anhänger auf der Ostseite des von Polizisten abgesperrten University Boulevard. Ihr Idol soll am 6. November wiedergewählt werden. Auf der Westseite wirken die Romney-Fans für einen Moment irritiert. Dann kontern sie: "Weitere vier Monate, weitere vier Monate!" Das kommt ungefähr hin, am 20. Januar ist Inauguration, dann soll ihr Kandidat ins Weiße Haus einziehen.

Die Zwei-Millionen-Metropole in Colorado fiebert mit, als sich Präsident und Herausforderer zum ersten TV-Streitgespräch treffen. Neugierige drängeln sich um den Campus, auf dem ein großes "Debatten-Fest" stattfindet, mit Musikbühne, Imbissständen und großer Bekenntnisfreude: Viele Besucher tragen T-Shirts mit Wahlkampfslogans, andere haben Handplakate dabei. "Vorwärts", das Motto der Wiederwahlkampagne, steht auf den einen, "Feuert Obama" auf anderen.

Die Fronten sind geklärt, aber die Stimmung ist aggressionsfrei. Colorado ist ein "Purple State", je ein Drittel der Wähler sind Demokraten, Republikaner und Unabhängige, und das Blau der einen bildet im Gemisch mit dem Rot der anderen Partei ein entspanntes Lila. Am Boulevard nähern sich die Autokolonnen, geleitet von Polizeiwagen und Harleys. Zuerst kommt Romney. Das löst Jubel auf der westlichen Seite aus. Im dritten SUV, da sind Umstehende sicher, saß er drin. Zehn Minuten später braust Team Obama heran und biegt auf den vom Secret Service gesicherten Uni-Parkplatz ein.

Eine knappe Stunde später stehen sich die Kandidaten in der Joy Burns Arena der Universität gegenüber und 90 Minuten lang schenken sie sich wenig. Obama gibt eher die Python, die den Gegner umgreift und zu erdrücken versucht. "Gouverneur Romney und ich, wir beide stimmen überein ...", sagt Obama mehrfach, um dann klarzumachen, dass in den Details natürlich er richtig liege und Romney fürchterlich irre. Der Präsident bedankt sich auch bei Romney für die Debatte. Das sollte wohl gelassen wirken, klang aber eher gönnerhaft. Romney ist die Mamba, die vorschießt und zubeißt. "Sie erhöhen Steuern und töten Arbeitsplätze", befindet er, dabei hat Obama bislang Steuern gesenkt. Zur Wall-Street-Regulierung Obamas merkt Romney an, weil einige mächtige Banken als "zu groß zum Scheitern" eingestuft wurden, habe die Regierung ihre Existenz garantiert. "Das ist der dickste Kuss, den New Yorker Banken je bekommen haben", sagt der Ex-Private-Equity-Unternehmer.

Es gibt witzige Szenen. Zu Beginn verkündet der Präsident, dass er an diesem Mittwoch vor exakt 20 Jahren der "glücklichste Mensch auf Erden" wurde, weil er Michelle Robinson heiraten durfte, die heutige First Lady. Die sitzt im Publikum, und der Präsident verspricht ihr, den nächsten Hochzeitstag nicht vor 40 Millionen Zuschauern zu feiern. Romney gratuliert und mutmaßt, dieses TV-Duell sei sicher der "romantischste Ort", den sich Obama für den Anlass habe vorstellen können, "hier mit mir".

Ein anderes Mal attackiert der Republikaner den Demokraten, weil der Pläne falsch darstelle. "Sie sind berechtigt als Präsident, Ihr eigenes Flugzeug zu haben und Ihr eigenes Haus, aber nicht Ihre eigenen Fakten", spottet Romney. Als der Ex-Gouverneur die Abschaffung der Gesundheitsreform des Präsidenten ankündigt und diese als "Obamacare" bezeichnet, entschuldigt er sich für die republikanische Schmähvokabel: "Tut mir leid, Mr. Präsident, ich benutze den Begriff mit allem Respekt." "Ich mag ihn", kontert Obama trocken und hat die Lacher auf seiner Seite.

Moderator Jim Lehrer gestattete Obama vier Minuten mehr Redezeit als Romney. Doch die Attacke überließ der Demokrat weitgehend dem Gegner. In der Verteidigung agierte er müde. Und dann die Körperhaltung: Ausdauernd blickte der Präsident auf das Stehpult vor sich, wenn Romney redete, mitunter lächelte er dabei. Beim Zusammenschnitt auf dem geteilten Bildschirm wirkte Obama wie der Zeitgenosse, der beim Gespräch ständig auf dem Smartphone E-Mails überprüft, die ihn gelegentlich belustigen.

Die Debatte reißt die Unterschiede in den Programmen an, aber zum Nachfragen bleibt wenig Raum. Sein Herausforderer wolle die Steuereinnahmen um fünf Billionen Dollar kürzen, behauptete der Präsident, und das gehe zulasten des Mittelstands. Romney wies das zurück: "Praktisch alles, was er über meine Steuerpläne sagte, ist falsch." Er werde keine Steuern senken, wenn dadurch das Defizit weiter wachse.

Obama kann Zweifel säen an der Stimmigkeit von Romneys Plänen, Medicare, das Gesundheitssystem für Senioren, in Teilen zu privatisieren. Doch auch der Präsident weicht der Frage aus, wie er denn die galoppierenden Kosten des Sozialstaates eindämmen wolle. Romney warb für eine "Obamacare" durchaus ähnliche Gesundheitsreform, die er einst in Massachusetts realisierte. Auf der Ebene der Bundesstaaten müsse diese Aufgabe gelöst werden, nicht auf der Washingtons. Aber warum dies nun gelingen sollte, nachdem seit einem halben Jahrhundert nur geredet wurde, bis Obama seine Reform durchzog, verriet Romney nicht.

Weil der Kandidat auch wenige Details lieferte zu den Schlupflöchern im Steuersystem, die er zur Finanzierung seiner Pläne schließen wolle, ätzte der Präsident, "ob der Grund dafür, dass Gouverneur Romney alle seine Pläne so geheim hält, darin liegt, dass sie zu gut sind". Im Schlusswort blieb der Präsident defensiv. Er erinnerte daran, dass er 2009 entgegen dem Votum der Republikaner die US-Autoindustrie gerettet habe, und er vertraue weiterhin auf die Stärken Amerikas. "Vor vier Jahren habe ich gesagt, ich bin kein perfekter Mensch und werde kein perfekter Präsident sein." Er habe auch gesagt, er "würde jeden einzelnen Tag kämpfen". Wenn man ihn wähle, "werde ich weiter kämpfen".

Romney hingegen, der sich unter Verweis auf seine Gouverneurszeit als Kompromisssucher jenseits der Parteigrenzen darstellte, griff im abschließenden Plädoyer erneut an. Er sei "besorgt über die Richtung, die Amerika in den vergangenen vier Jahren genommen hat". Eine Wiederwahl des Präsidenten bedeute, dass der Mittelstand weiter erdrückt werde "durch Gehälter, die runtergehen, und Preise, die steigen". Er wolle als Präsident "dabei helfen, zwölf Millionen neue Jobs zu schaffen". Der Herausforderer entschied das Duell eindeutig zu seinen Gunsten. Er war angriffslustig, aber nicht zu aggressiv. Er wartete mit Zahlen auf und ließ sich selten in die Enge treiben. Er wirkte frischer und wich dem Blickkontakt nicht aus. In einer Blitzumfrage von CNN sprachen 67 Prozent der Zuschauer Romney den Sieg zu, nur 25 Prozent sahen Obama vorne. Unabhängige Wähler entschieden sich laut dem Sender CBS zu 46 Prozent für Romney und nur zu 22 Prozent für Obama.

Vier weitere Jahre Obama oder nur noch vier Monate bis zur Vereidigung Romneys - für die Wahl am 6. November ist alles wieder offen.