Wahlsieger Iwanischwili will beides: Westintegration und bessere Beziehungen zu Russland. Bittere Schlappe für Saakaschwili

Tiflis/Moskau/Brüssel. Erstmals erlebt die Südkaukasusrepublik Georgien einen demokratischen Machtwechsel. Nach einer hart umkämpften Parlamentswahl räumte Präsident Michail Saakaschwili die Niederlage seiner Partei gegen das Bündnis Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili ein. Die von ihm geführte Vereinte Nationale Bewegung gehe in die Opposition, sagte Saakaschwili in einer Fernsehansprache an die Nation. Damit ist das Machtmonopol des Präsidenten neun Jahre nach der unblutigen Rosenrevolution von 2003 gebrochen.

Die erst im April gegründete Bewegung Georgischer Traum lag nach Auszählung fast aller Stimmzettel mit 54,9 Prozent in Führung, wie die Zentrale Wahlkommission in der Hauptstadt Tiflis mitteilte. Das Lager von Saakaschwili kam demnach nur auf 40,3 Prozent. Zehntausende feierten nach der Wahl am Montag mit Europaflaggen und Autokorsos. Die Gegner des Staatschefs erhielten vor allem durch einen Folterskandal Auftrieb. Mitte September veröffentlichte Videos zeigten, wie Wächter Gefangene misshandeln.

Bisher führte der 44-jährige Saakaschwili sein Land mit einer Zweidrittelmehrheit und regierungstreuen Parteien im Parlament. Die neue Verteilung der 150 Parlamentssitze blieb zunächst unklar, da noch nicht alle Direktmandate ausgezählt waren. Gestern gab es erste Gespräche zur Regierungsbildung. Iwanischwili kündigte ein völlig neues Kabinett an. Am 20. Oktober werde das neue Parlament erstmals tagen. Ende Oktober soll die Regierung stehen.

Die EU und die USA gratulierten der Ex-Sowjetrepublik zu der friedlichen Abstimmung. Die Bundesregierung lobte den Ablauf der Abstimmung als Zeichen für eine demokratische Festigung des Landes. "Ich freue mich über die insgesamt positive Einschätzung der Wahlen durch die Beobachter der OSZE", sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in Berlin. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte die Abstimmung als frei und demokratisch gelobt. Sie beklagte aber eine Atmosphäre der Einschüchterung. Wahlbeobachter berichteten zudem von kleineren Zwischenfällen bei der Auszählung.

Russland schloss einen Neustart im zerrütteten Verhältnis mit dem Nachbarland nicht aus. Saakaschwili gilt seit dem russisch-georgischen Südkaukasuskrieg von 2008 als Feind des Kremls. Iwanischwili forderte den Staatschef zum Rücktritt auf. "Er hat viele Fehler gemacht", sagte der Wahlsieger. Alle Reformen der Regierung seien gescheitert. Die für Herbst 2013 geplante Präsidentenwahl müsse vorgezogen werden, sagte Iwanischwili.

Der 56-Jährige, der Premierminister und damit - nach einer Verfassungsänderung im kommenden Jahr - mächtigster Mann im Staat werden will, rief Saakaschwilis Lager zur Zusammenarbeit auf. "Es gab Gewalt, es gab Lügen. Heute müssen wir uns zusammenschließen und ein neues, einiges Georgien aufbauen", sagte der reichste Mann des seit 1991 unabhängigen Landes.

Seine erste Auslandsreise als Regierungschef werde ihn in die USA führen, kündigte Iwanischwili an. Im Wahlkampf hatten ihn auch viele US-Strategen beraten. Er wolle nicht von der Integration in EU und Nato abweichen und auch die regionale Rolle des Landes mit etwa 4,6 Millionen Einwohnern stärken, betonte er. Es gehe darum, das Verhältnis zu Moskau zu verbessern. "Das ist schwer, aber nicht unmöglich."

Als Mann mit einem Milliardenvermögen hatte sich Bidsina Iwanischwili lange Zeit als stiller Wohltäter in dem Südkaukasusstaat einen Namen gemacht. Er war in Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion mit Metallhandel und Immobiliengeschäften reich geworden. Doch dann hatte er Saakaschwili aus Ärger über dessen Politik den Kampf angesagt. Von seiner hoch gelegenen Villa in Tiflis hat er nicht nur den neuen Palast, den sich Saakaschwili hatte bauen lassen, im Blick. Iwanischwilis von dem japanischen Architekten Shin Takamatsu entworfenes Anwesen aus Glas und Stahl überragt auch das Patriarchat von Ilia II. Die einflussreiche georgisch-orthodoxe Kirche hat dem Oligarchen viele Spenden zu verdanken. Es ist etwa ein Jahr her, dass der auch in der Kunstwelt wegen seiner spektakulären Auktionskäufe bekannte Multimilliardär seinen Wechsel in die Politik bekannt gab. Georgischer Traum hat er die Bewegung genannt - nach dem Namen der populären Band seines Sohnes Bera, dessen Rapmusik auch bei den Demonstrationen landauf, landab zu hören gewesen war. Saakaschwili nannte den Oligarchen ein "russisches Projekt", um Georgien mit Mafiamethoden wieder in die Zeiten einer Sowjetdiktatur zu stürzen. Wohl auch wegen dieses verbreiteten Verdachts hatte sich Iwanischwili von seinen russischen Reichtümern sowie dem Pass des mächtigen Nachbarn getrennt.

Nach seinem Wahlsieg nun will der unauffällige Mann mit den lebendigen Augen und der jungenhaften Figur das Recht in dem Land wiederherstellen. Vor allem sehnt er sich nach seiner georgischen Staatsbürgerschaft zurück, die Saakaschwili seinem politischen Konkurrenten hatte entziehen lassen. Iwanischwili hat einen Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit sowie eine Stärkung des Mittelstandes und der Agrarwirtschaft in dem für seine Weinkultur und seinen Obstreichtum bekannten Land versprochen.

Er achte auf seine Figur, treibe Sport und liebe Yoga, sagte der Vater von vier Kindern. Der am 18. Februar 1956 in einer armen Bauernfamilie geborene Iwanischwili wird in seinem Heimatort Tschorweli im Westen Georgiens wie ein Heiliger verehrt. Dort schwärmen die Menschen, dass er ihnen zum Beispiel Häuser bauen lasse und die Krankenversicherung zahle. Von einem solchen Wohlstand träumen viele Wähler in Georgien.