Vor der Uno-Vollversammlung wehrt sich der Präsident gegen seinen Herausforderer Mitt Romney, der ihm Schwäche und Zögerlichkeit vorwirft

Washington. Die Vereinigten Staaten werden tun, "was sie tun müssen", um den Iran an der Entwicklung einer Atombombe zu hindern. Mit dieser Warnung hat US-Präsident Barack Obama vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York unterstrichen, dass die USA sich alle Optionen eines Eingreifens offenhalten. Die Zeit für Sanktionen und Verhandlungen sei nicht "unbegrenzt", sagte Obama: "Ein atomar bewaffneter Iran ist keine Herausforderung, die sich eingrenzen lässt, sie würde die Vernichtung Israels androhen und die Sicherheit der Golfstaaten sowie die Stabilität der Weltwirtschaft bedrohen."

Die Warnung Obamas soll offenbar eine Rückversicherung für Israel und andere Verbündete in der Region bringen, ohne sich der Forderung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach dem Ziehen einer "roten Linie" zu beugen. Netanjahu wird morgen vor der Vollversammlung sprechen. In den vergangenen Wochen war das äußerst kühle persönliche Verhältnis zwischen Obama und Netanjahu ein Thema im US-Wahlkampf geworden. Der republikanische Herausforderer des Präsidenten, Mitt Romney, bezeichnete es mehrfach als "Fehler", dass Obama in New York weder Netanjahu noch einen anderen befreundeten Staatschef treffen wird. "Das sendet die Botschaft in den gesamten Nahen Osten, dass wir uns von unseren Freunden distanzieren", sagte Romney. Auf die Kritik an seiner Außenpolitik antwortete Obama mit der Aufforderung: "Wenn Gouverneur Romney andeuten will, dass wir einen weiteren Krieg beginnen sollen, sollte er das sagen."

Der Präsident eröffnete seine Rede mit einer Würdigung des Lebens und Wirkens des in Bengasi ermordeten Botschafters Christopher Stevens. "Er repräsentierte das Beste, wofür Amerika steht." Obama verteidigte, dass die USA die Selbstbestimmung der Völker im Arabischen Frühling unterstützt hätten. Amerika habe den Umsturz in Ägypten mit erzwungen. Er forderte den Sturz des Assad-Regimes in Syrien. Es dürfe auf der Welt keinen Platz geben für einen Diktator, der "seine eigene Bevölkerung massakriert".

Der erste Applaus kam, als Obama den ehemaligen südafrikanischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela zitierte: Freiheit bedeute nicht nur, Ketten abzuwerfen, sondern, die Freiheit anderer zu respektieren. In jedem Land gebe es Menschen, die den Glauben anderer bedrohlich fänden, sagte er mit Blick auf das Anti-Islam-Video. Das "krude, widerliche Video" sei eine Beleidigung auch für Amerika. Doch die US-Verfassung garantiere das Recht auf freie Rede; er werde das Recht, auch ihn als Präsidenten täglich zu beschimpfen, immer verteidigen. Gewalt und Intoleranz würden sich am Ende gegen die Völker wenden, die sie duldeten.

Es ist unvermeidlich, dass sowohl die Uno-Vollversammlung als auch die Rede Barack Obamas im US-Wahlkampf von beiden Seiten für ihre Zwecke instrumentalisiert werden. Obama, dem die US-Wähler in Umfragen eine höhere Kompetenz in Außen- und Sicherheitspolitik zubilligen als Mitt Romney, will seine "Politik der ausgestreckten Hand" gegenüber der muslimischen Welt rechtfertigen, die er einst an der Universität von Kairo formulierte. Nach Überzeugung Mitt Romneys und namhafter Sicherheitsexperten ist diese "Kairo-Doktrin" in der Krise, wenn nicht schon gescheitert. Die antiamerikanischen Tumulte auf der arabischen Straße, in Pakistan und anderen islamischen Ländern nach dem Bekanntwerden des Schmähvideos gegen den Propheten Mohammed bewiesen, so die Kritiker des Präsidenten, dass die USA unter Obama nur Schwäche gegen ihre Feinde und Zögern gegenüber Verbündeten gezeigt hätten. Das sieht Barack Obama naturgemäß anders, vor allem sieht er nicht Amerika allein angegriffen: "Die Attacken der vergangenen beiden Wochen waren nicht nur ein Angriff auf Amerika. Es war auch ein Angriff auf eben die Ideale, auf welche die Vereinten Nationen sich gründen."

Die Außenpolitik Barack Obamas hat durchaus ihre Verteidiger. Nicht nur unter Demokraten, die geltend machen, die acht Jahre, in denen die USA unter George W. Bush und Dick Cheney im Nahen Osten militärische Stärke gezeigt hätten, hätten mehr zerstört, als sich in vier Jahren reparieren lasse. Zudem verweisen sie als Gegenbeweis zu dem Schwächevorwurf auf den von Präsident Obama erheblich intensivierten Drohnenkrieg gegen mutmaßliche Terroristen in Pakistan und Jemen und die Tötung Osama Bin Ladens.

Der ehemalige britische Premierminister und Unterhändler im Nahen Osten, Tony Blair, lobte den Ansatz Obamas ausdrücklich. In einem Interview mit dem Sender MSNBC sagte Blair, die USA und der Westen könnten "in dieser Phase" der Aufstände und Demokratisierung nur eine Helferrolle übernehmen. In den lange autokratisch regierten Ländern stünden sich zwei Lager gegenüber: eine mächtige, meist religiös motivierte Minderheit und eine auf eine offene, freie Gesellschaft hoffende, noch ohnmächtige Mehrheit, die "unsere Werte teilt", aber noch kein Gehör finde. Die USA müssten ihren Anspruch, "geliebt zu werden", aufgeben. Doch unter dem antiamerikanischen Aufruhr verberge sich Respekt vor Amerika, der mittel- und langfristig den Ausschlag geben werde.

Mitt Romney und Paul Ryan kritisierten besonders scharf eine Bemerkung Obamas, die sie als unerhörte Beschwichtigung verstehen. Der Präsident hatte in einem TV-Interview die Unruhen im Nahen Osten als "Unebenheit in der Straße" (bumps in the road) zum langfristigen Erfolg charakterisiert. Dies seien "keine Unebenheiten", empörte sich Romney, "hier geht es um Leben, Menschlichkeit, Freiheit. Wir müssen für Freiheit stehen."