Wie Philip Murphy in der Bucerius Law School sein Heimatland erklärt

Hamburg. Philip Murphy gehört zu jenen amerikanischen Botschaftern, die Deutschland schon vor ihrer Ernennung gut kannten. Zwischen 1993 und 1997 stand er dem Frankfurter Büro des Investmentgiganten Goldman Sachs vor und bereiste ganz Deutschland.

Seit 2009 Washingtons Mann in Berlin, beschäftigt ihn, was Amerikaner und Deutsche vereint - das ist bekanntlich eine Menge -, aber auch, was sie aneinander nicht begreifen können. Vor allem der lebhafte US-Wahlkampf mit seinen patriotischen Zuspitzungen stößt hierzulande oft auf Unverständnis - Grund genug für den Top-Diplomaten, das Thema aufzugreifen. Denn auf dieser Seite des Atlantiks heiße es oft: "Die spinnen, die Amis."

Unter dem Titel "Was Deutsche an Amerika nicht verstehen" referierte Murphy gestern gut eine Stunde lang im Auditorium der Bucerius Law School. Zum interessierten Publikum gehörten auch die amerikanische Generalkonsulin in Hamburg, Inmi Patterson, der Grandseigneur des deutschen Journalismus, Theo Sommer, sowie Mitglieder des konsularischen Korps der Hansestadt, darunter die griechische Generalkonsulin Ekaterina Dimakis.

Im Mittelpunkt seiner politischen und historischen Tour d'Horizon standen das für die USA typische Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit sowie die Rolle des Staates und des Optimismus. Zu Letzterem sagte Murphy: "Optimismus liegt in unseren Genen." Es sei bezeichnend, dass gerade Schwarze und Latinos in den USA selbst in der Krise zuversichtlich seien, dass es ihnen gelingen werde, den amerikanischen Traum zu leben und ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Die Amerikaner glaubten viel stärker an Selbstverantwortung, das manifestiere sich in der Überzeugung: "Wenn du hart arbeitest und dich an die Regeln hältst, wird es dir gut gehen." Rund zwei Drittel der Amerikaner lehnten laut Umfragen den Satz "Erfolg im Leben wird von Faktoren außerhalb deiner Kontrolle bestimmt" vehement ab, doch 72 Prozent der Deutschen stimmten ihm zu. Entsprechend größer wird in Deutschland die Rolle des Staates gesehen - und entsprechend größer sehen die Amerikaner die Verantwortung des Einzelnen für sein Leben. Der amerikanische Freiheitsbegriff umfasse viel mehr die Freiheit des Individuums, sein Leben zu gestalten. Gemeint sei also weniger die Freiheit von etwas, sondern die Freiheit, etwas zu tun. Allerdings könne wirtschaftliche Freiheit am Ende auch zu Ungleichheit führen. Diese beiden Grundwerte der USA - Freiheit und Gleichheit - seien zugleich die verwundbarsten.

Zur politischen Bilanz der ersten Amtszeit von Barack Obama sagte Philip Murphy, der frühere Gouverneur von New York, Mario Cuomo, habe einmal gesagt: "Wahlkampf findet in Poesie statt und das Regieren dann in Prosa." Jene, die von den Leistungen Barack Obamas enttäuscht seien, zählten wohl eher zu den Poeten, meinte der Botschafter. Amerika sei ein Projekt im ständigen Wandel, man könne sozusagen nie ein Bild einfrieren und sagen: So, das ist jetzt Amerika.

Als launiger Redner ist Murphy ohnehin eine Naturgewalt, und dann schlüpfte er auch noch übergangslos in die Rolle eines Quizmasters. Wer im Publikum Fragen zu den USA richtig beantworten konnte, bekam einen Händedruck und ein Erinnerungsfoto mit Obamas Mann in Berlin.