Erste Prognosen nach der Parlamentswahl sehen hauchdünnen Vorsprung der Rechtsliberalen vor den Sozialdemokraten

Den Haag. Breit lachend schüttelten sich der rechtsliberale Premier Mark Rutte und sein sozialdemokratischer Herausforderer Diederik Samsom die Hände. Ihr letztes TV-Duell vor der gestrigen Parlamentswahl in den Niederlanden beendeten die beiden wie beste Kumpel. Dabei kämpften sie um die Macht in Den Haag - und nur einer wird das "Torentje" beziehen, das Türmchen, wie der Amtssitz des Regierungschefs genannt wird. "Wird hier schon eine Koalition geschmiedet?", fragte der Moderator verblüfft.

Rutte und Samsom wiesen das weit von sich - noch. Denn den ersten Prognosen aus der gestrigen Wahlnacht zufolge deutet manches auf eine sozialliberale Koalition hin. Die rechtsliberale Regierungspartei VVD von Premier Mark Rutte hat danach 41 der 150 Mandate der Zweiten Kammer des Parlaments gewonnen und wird mit hauchdünnem Vorsprung stärkste politische Kraft vor den Sozialdemokraten unter Diederik Samsom. Sie kamen danach auf 40 Sitze. Den euroskeptischen Parteien erteilten die Wähler eine Absage.

Überraschend hohe Verluste verbuchte der Rechtspopulist Geert Wilders, der im Wahlkampf den Austritt der Niederlande aus der Europäischen Union und dem Euro gefordert hatte. Seine Partei für die Freiheit sackte von 24 auf 13 Sitze ab. Die Christdemokraten, bisher Partner in der Minderheitskoalition, müssen der Prognose zufolge sogar eine historische Niederlage hinnehmen. Sie kamen nur noch auf 13 Mandate.

In den Hauptfragen des Wahlkampfes - der Sanierung des Staatshaushaltes und der Ankurbelung der Wirtschaft - gibt es allerdings deutliche Unterschiede zwischen den Rechtsliberalen und den Sozialdemokraten Regierungschef. Angesichts von Euro-Krise, leeren Staatskassen und schlechter Konjunktur muss gespart werden, rund 20 Milliarden Euro. Die Rechtsliberalen wollen Steuern senken und Bürger etwa für die Krankenversicherung stärker zur Kasse bitten. Die Sozialdemokraten warben mit einem Programm für soziale Gerechtigkeit, stellten aber auch schmerzhafte Einschnitte in Aussicht.

Doch in der zweiten Frage, Europa und die Krise, herrschte während des letzten TV-Duells vor der Wahl fast schon Harmonie. "Wir müssen ein zuverlässiger Partner von Berlin bleiben", mahnte Premier Rutte. Samsom nickte heftig. Kanzlerin Angela Merkel muss vor einem Machtwechsel in Den Haag keine Angst haben. Zwar schwört Samsom nicht in gleichem Maße auf Haushaltsdisziplin wie die Rechtsliberalen, er ist aber für eine weitergehende politische Integration Europas.

Samsom sagte bei seiner Stimmabgabe, die Wähler hätten "nur noch einen Tag, die Niederlande stärker und sozial verantwortungsvoller zu machen". Rutte betonte beim letzten Wahlkampfauftritt, die Niederländer müssten eine Grundsatzentscheidung treffen: zwischen einer linken Lösung der Schaffung von Arbeitsplätzen, die das Staatsdefizit erhöht, und Merkels Sparansatz. "Frankreich ist ein Land hoher Defizite, hoher Steuern, niedrigen Wachstums - das wäre nicht gut für die Niederlande", sagte Rutte. "Die Deutschen haben dieselbe Philosophie wie wir: niedrige Schulden und Arbeitsplätze."

Beobachter rechnen mit einer schwierigen Regierungsbildung - das ist in den Niederlanden fast schon Tradition. Diesmal könnten die Verhandlungen noch komplizierter sein, weil das Königshaus davon erstmals ausgeschlossen ist. Die Zweite Kammer hatte seine Rolle im März stark eingeschränkt. Staatsrechtler befürchten nun ein Chaos.

In der Vergangenheit führte Königin Beatrix gleich nach den Wahlen Gespräche mit den Fraktionsvorsitzenden. Danach beauftragte sie einen ihrer Ratgeber mit Sondierungsgesprächen. Dieser sogenannte Informateur informierte die Königin über die Chancen möglicher Koalitionen. Sie ernannte dann den sogenannten Formateur, in den meisten Fällen war dies der künftige Ministerpräsident. Er führte die offiziellen Koalitionsverhandlungen.

Nach Ansicht von Staatsrechtlern ist nun unklar, wer die Initiative ergreifen muss. Eine Mehrheit der Abgeordneten meint, das Parlament sei am Zug. Doch die Zweite Kammer wird erst nächste Woche vereidigt. Die Kammervorsitzende, die Sozialdemokratin Gerdi Verbeet, will daher bereits heute die Fraktionschefs versammeln, um über das Vorgehen zu entscheiden.