Nach gewaltsamem Tod von vier Diplomaten kündigt Präsident Barack Obama Vergeltung an: “Der Gerechtigkeit wird Genüge getan.“

Washington/Bengasi. Die US-Botschaft im libyschen Tripolis dokumentiert auf ihrer Homepage wichtige Presseverlautbarungen. Eine Gratulation von Außenministerin Hillary Clinton "an das libysche Volk zur Konstituierung der demokratisch gewählten Nationalversammlung" ist dort ebenso zu lesen wie ein Bericht über die Wiedereröffnung der Konsularabteilung Ende August. Botschafter Chris Stevens wird dort mit den Worten zitiert: "Meine Einladung heute an die Libyer lautet: 'Ahlan wasahlan bikum.' Sie sind willkommen in den USA."

Am Dienstagabend wurden der Botschafter und drei weitere amerikanischen Diplomaten in Bengasi getötet , als mutmaßlich islamistische Extremisten das dortige US-Konsulat stürmten. Bei dem Versuch, die Diplomaten aus der Gefahrenzone zu bringen, wurde ihr Auto offenkundig aus dem Hinterhalt mit einem Mörser beschossen. Die tödlichen Übergriffe wurden weltweit verurteilt, Libyens Interimspräsident Mohammed al-Megarif bat um Entschuldigung und kündigte an, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Dem tödlichen Angriff auf den Wagen der US-Diplomaten vorausgegangen waren gewalttätige Tumulte und Brandanschläge nicht nur auf die amerikanische Vertretung in Bengasi, sondern auch im ägyptischen Kairo. Die Angreifer begründeten ihre Aktionen am Jahrestag der Al-Qaida-Terrorattacke vom 11. September 2001 auf die USA mit ihrer Wut über einen als "antiislamisch" bezeichneten Film mit dem Titel "Innocence of Muslims" (Die Unschuld der Muslime).

In einer 14 Minuten langen Vorschau auf den Film, die seit Juli im Internetportal YouTube zu sehen war, wird der Prophet Mohammed als Trottel, Frauenheld, Homosexueller, Kinderschänder und blutdürstiger Gangster dargestellt. Im Islam ist jede Darstellung des Propheten verboten.

Autor und Regisseur des Films ist der US-Immobilienentwickler Sam Bacile. Er hat nach eigenen Angaben die israelische und auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er wolle seine Sicht zeigen, dass der Islam eine hasserfüllte Religion sei, zitiert die "New York Times" aus einem Telefoninterview mit ihm. "Islam ist wie Krebs", sagte Bacile demnach. Das "Wall Street Journal" berichtet, der Trailer habe erst Aufmerksamkeit erregt, nachdem der als Koranhasser bekannt gewordene Pastor Terry Jones aus Florida ihn gelobt habe. Eine Koran-Verbrennung in Jones' Kirche hatte im März 2011 gewalttätige Proteste von Muslimen ausgelöst. In Afghanistan wurden damals sieben Uno-Mitarbeiter getötet.

Obama: USA lehnen jede Verunglimpfung ab

Die USA, die in Libyen die Aufständischen gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi unterstützten und auch beim Übergang Ägyptens aus einer Diktatur in eine von der Muslimbruderschaft dominierte Demokratie Hilfestellung leisten, sehen sich durch die dramatischen Vorfälle gezwungen, ihr Engagement im arabischen Staatenraum zu überdenken. US-Präsident Barack Obama sagte, die USA lehnten jede Verunglimpfung religiöser Überzeugungen ab, und betonte zugleich: "Aber es gibt absolut keine Rechtfertigung für diese Art sinnloser Gewalt." Die USA arbeiteten mit der libyschen Regierung zusammen, um die Verantwortlichen der Attacke zur Rechenschaft zu ziehen. "Der Gerechtigkeit wird Genüge getan", versprach Obama. Er versicherte zugleich, dass der Angriff die Verbindung zwischen den USA und Libyen nicht zerreißen werde.

Außenministerin Hillary Clinton sagte, sie habe das "Privileg gehabt, Chris erst vor wenigen Monaten für seinen Posten in Libyen zu vereidigen. Er sprach eloquent über seine Begeisterung für seinen Dienst, für die Diplomatie und für das libysche Volk." Diese Aufgabe ihres 52-jährigen Karrierediplomaten sei "nur die letzte gewesen in mehr als zwei Jahrzehnten, in denen er sich der Aufgabe hingab, engere Verknüpfungen herzustellen mit den Menschen im Nahen Osten und im nördlichen Afrika", so Clinton. Der TV-Sender CNN berichtete, das US-Verteidigungsministerium habe zwei Anti-Terror-Teams des Marine Corps nach Libyen entsandt, um die Diplomaten vor weiteren Übergriffen zu schützen.

Clinton betonte: "Dies war eine Attacke einer kleinen und grausamen Gruppe." Sie wies darauf hin, dass Libyer an der Seite der Amerikaner gegen die Angreifer gekämpft hätten. Nach Angaben libyscher Behörden wurden bei den Ausschreitungen auch mehrere einheimische Sicherheitskräfte getötet.

Umgehend wurden die Angriffe zum Thema im US-Präsidentschaftswahlkampf. Der republikanische Bewerber Mitt Romney kritisierte die Obama-Regierung scharf für deren erste Reaktion. Darin habe das Weiße Haus nicht etwa die Angriffe verurteilt, sondern Verständnis für die Täter gezeigt. Obamas Wahlkampfsprecher Ben LaBolt erklärte daraufhin, er sei entsetzt, dass Romney den tragischen Tod von Diplomaten nutze, um einen politischen Angriff zu starten.