Netanjahu laut Zeitung für Militärschlag gegen das Atomprogramm Teherans noch vor der US-Wahl. 500 eigene Tote werden erwartet

Jerusalem. Die israelische Regierung geht davon aus, dass ein Angriff auf die iranischen Atomanlagen in einen einmonatigen Konflikt münden würde. "Die Analysen deuten auf einen Krieg an mehreren Fronten hin, der 30 Tage dauern würde", sagte Zivilschutzminister Matan Vilani der Zeitung "Maariv". Er bestätigte die Einschätzung von Verteidigungsminister Ehud Barak, dass etwa 500 Israelis sterben dürften, wenn jeden Tag Hunderte Raketen auf die Städte des Landes niedergingen. "Es gibt keinen Anlass zur Hysterie", sagte Vilani. Der Zivilschutz sei so gut vorbereitet wie nie zuvor.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Barak befürworten einem Zeitungsbericht zufolge einen Schlag gegen den Iran noch vor der US-Präsidentenwahl im November. Allerdings fehle beiden Politikern dazu die entscheidende Unterstützung sowohl im Militär als auch im Sicherheitskabinett. Im Falle eines Angriffs drohen Vergeltungsangriffe mit Raketen aus dem Iran, von Islamisten in den Palästinensergebieten und von der proiranischen Hisbollah-Miliz im Libanon. Es wird davon ausgegangen, dass die Palästinenser im Gazastreifen über 10 000 und die Hisbollah über 50 000 Raketen verfügen, die auch Tel Aviv erreichen könnten. Der israelische Raketenschild dürfte einen Teil davon abwehren.

Die Bundesregierung setzt laut einem Sprecher des Auswärtigen Amtes weiter auf eine diplomatische Lösung. Die deutsche Regierung beobachte die Situation im Nahen und Mittleren Osten sehr aufmerksam, beteilige sich aber nicht an Spekulationen. Die Bundesregierung sei zusammen mit ihren Partnern bemüht, mit dem Iran die Fragen zu klären und das Land dazu zu bringen, "die berechtigten Zweifel der internationalen Staatengemeinschaft zur Natur seines Atomprogramms auszuräumen".

Experten diskutieren, ob die israelische Bevölkerung psychologisch zu einem Krieg bereit ist. Zwar wären 500 Tote nicht mit den Verlusten im Unabhängigkeitskrieg von 1948 vergleichbar, bei dem etwa ein Prozent der Bevölkerung starb. Auch bei den Konflikten 1967 und 1973 waren die Totenzahlen höher. Der Historiker Martin van Creveld bezweifelt jedoch den Durchhaltewillen. Unter Anspielung auf die Islamisten im Libanon und den Palästinensergebieten sagte er: "Mehr als 20 Jahre des Kämpfens gegen die Schwachen haben in Israel eine widerliche Mischung von Aggression und Selbstmitleid hervorgebracht."

Der ehemalige israelische Luftwaffenchef David Ivry, der den Angriff auf den irakischen Atomreaktor 1981 geplant hatte, weist die Bedenken zurück. "Wenn das Land entscheidet, dass die nationale Sicherheit auf dem Spiel steht, dann wird der Preis gezahlt." Der Schriftsteller Amos Oz hält einen alleinigen israelischen Angriff auf den Iran für einen Fehler: "Der Iran ist das Problem der ganzen Welt."