PKK und andere Organisationen übernehmen Kontrolle in Grenzgebieten zur Türkei. Im Hintergrund geht es auch um Öl und Gas

Ankara. Mit der Entführung des türkischen Politikers Hüseyin Aygun durch die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK hat der Kurdenkonflikt im Südosten der Türkei international wieder Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der kurdischstämmige Aygun von der republikanischen Volkspartei CHP hatte sich bei der PKK unbeliebt gemacht, als er sie aufforderte, die Waffen niederzulegen. Der Vorsitzende des PKK-nahen Initiativrats der Gemeinschaften Kurdistans (KCK), Murat Karyilan, aber sprach in der prokurdischen Agentur ANF von einem "ausgeweiteten Kriegszustand".

Dazu gehörte auch ein PKK-Angriff auf türkische Truppen beim Badeort Foca im Westen der Türkei, bei dem vergangene Woche ein türkischer Offizier getötet und etwa 30 Soldaten verwundet wurden. Nach Angaben der Informationsstelle Kurdistan (ISKU) sind in den Regionen Semdinli und Cucurca und der Provinz Hakkari ganze Landstriche unter Kontrolle der Guerilla. Die PKK bezeichnet dies als Reaktion auf verstärkte türkische Angriffe. Allein seit Beginn einer türkischen Offensive Ende Juli sollen 115 kurdische Rebellen getötet worden sein.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht den bedrängten syrischen Staatschef Baschar al-Assad als Drahtzieher. Dieser unterstütze die PKK und entlaste sich so im syrischen Machtkampf. Ankara hat sich als Gastgeber des oppositionellen Syrischen Nationalrats und als Basis der aufständischen Freien Syrischen Armee auf die Seite der Assad-Gegner geschlagen. Unter Duldung Assads haben kurdische Organisationen in den Grenzgebieten Syriens die Kontrolle über die Provinzen Kobani, Afrin, Derik, Amude und al-Ajnada übernommen. Treibende Kraft dabei ist die Partei der demokratischen Union PYD, die eng mit der PKK verbündet ist. Längst habe die PYD damit begonnen, "Selbstverwaltungsstrukturen in Form der demokratischen Autonomie" aufzubauen, wie ihr Vorsitzender Salih Muslim sagte. Die Perspektive einer "demokratischen Autonomie" wurde von Öcalan entwickelt. Sie zielt darauf ab, eine kurdische Selbstverwaltung von unten aufzubauen. Die Türkei lehnt solch einen "Staat im Staate" als Separatismus strikt ab. Sie zieht Truppen im Grenzgebiet zusammen. Ein türkischer Einmarsch nach Syrien würde sich vor allem gegen eine kurdische Autonomie im zerfallenden Nachbarstaat richten.

Hinter den Kulissen geht es um eine neue regionale Ordnung. Der arabische Sender al-Dschasira fasste dies kürzlich unter dem Begriff "Pipelineistan" zusammen. Vor einem Jahr hatten der Iran, Irak und Syrien dem Bericht zufolge einen Zehn-Milliarden-Dollar-Deal abgeschlossen. Er sieht eine Erdgaspipeline vom iranischen South-Pars-Erdgasfeld nach Syrien und Libanon mit Blick auf den europäischen Markt vor. Dabei würde Syrien zu einer Energiekreuzung werden. Diese Rolle strebt mit der Nabucco-Pipeline auch die Türkei an, die gerne die Öl- und Gasströme aus Russland, dem kaspischen Raum und dem Irak nach Europa kontrollieren würde. Dabei fällt Syrien als Konkurrent erst einmal aus.