Das afghanische Mädchen wurde verkauft, zwangsverheiratet und halb tot gefoltert. Die Urteile gegen ihre Peiniger gelten als Meilensteine.

Hamburg. Sahar Gul ist ein aufgewecktes Mädchen, aber ihr fehlt die Unbeschwertheit, die andere Jugendliche in diesem Alter auszeichnet. Sahar ist vermutlich 14, vielleicht auch schon 15, so genau weiß sie das nicht. Aber eines weiß sie: "Ich will Politikerin werden, um zu verhindern, dass andere Frauen so leiden müssen wie ich."

Politikerin zu werden - das ist kein einfacher und ungefährlicher Berufswunsch in Afghanistan. Aber immerhin markiert Sahar Guls Schicksal schon jetzt einen Wendepunkt in der juristischen Kultur dieses harten und zerrissenen Landes.

Sahar wächst in der kargen, bitterarmen Bergregion Badachschan auf. Als ihr Vater stirbt, wird die etwa Neunjährige herumgereicht, bis sie bei ihrem Stiefbruder Mohammed landet. Dessen Frau hasst das Kind und die folgenden Jahre werden für Sahar zur Hölle auf Erden. Sie muss jeden Tag hart arbeiten und wird schließlich mit 13 Jahren an einen 30-jährigen Mann namens Ghulam Sakri für umgerechnet 5000 Dollar als Ehefrau verkauft. Auch nach afghanischen Gesetzen ist das illegal. Ghulams erste Frau war geflohen, weil er sie wegen ihrer Kinderlosigkeit ständig zusammengeschlagen hatte.

+++ Sie hoffen und fürchten sich: Frauen in Afghanistan +++

In dem neuen Haus im fernen Baghlan weigert sich das entsetzte Kind, dem Mann sexuell zu Diensten zu sein und als Prostituierte der Familie Geld einzubringen. Sahar wird dafür schwer misshandelt; Nachbarn hören immer wieder ihre Schreie. Sie flieht; die Polizei schleppt sie zurück, zwingt den Mann aber, ein Versprechen zu unterschreiben, dass er sie nicht mehr quält. Ghulam Sakri und seine Familie denken aber gar nicht daran, das Versprechen zu halten. Schwiegermutter Siyamoi betäubt das Kind mit Drogen, und der Mann vergewaltigt Sahar. In der folgenden Zeit werden ihr Haare und Fingernägel ausgerissen und mit einer Zange Fleischfetzen abgetrennt, ihre Handgelenke werden gebrochen, sie wird mit heißen Eisenstangen vergewaltigt und brutal geschlagen. Als das Mädchen schließlich nur noch ein körperliches Wrack und nicht mehr tauglich zur Arbeit ist, werfen ihre Peiniger sie an Händen und Füßen gefesselt in ein Kellerloch. "Sie hatte keine Hoffnung mehr, am Leben zu bleiben", zitiert die "New York Times" die Anwältin Mushtari Daqiq von der Hilfsorganisation Women for Afghan Women (Frauen für afghanische Frauen).

Mehrfach versucht ihr Stiefbruder Mohammed seine Schwester zu besuchen, wird aber von der Familie in Baghlan stets abgewimmelt und sogar bedroht. Schließlich kommt er im Dezember in Begleitung von Polizeibeamten - und das Kellerverlies wird entdeckt. Sahar liegt ausgemergelt und kaum noch bei Bewusstsein auf der blanken Erde. Nach sechs Monaten der Qual ist sie mit Wunden übersät. Die Beamten bringen sie ins Krankenhaus und nehmen Stiefmutter Siyamoi, deren Tochter Mahkhurd und Schwiegervater Amanullah fest, der sich, mit einer Burka verkleidet, feige aus dem Staub machen wollte. Ghulam Sakhi und seinem Bruder Darmak gelingt jedoch die Flucht. Die drei Verhafteten werden von einem Gericht in Kabul im Mai zu jeweils zehn Jahren Haft verurteilt. Und nun hat ein Berufungsgericht die Urteile bestätigt - der Vorgang gilt als untypisch für die afghanische Justiz und daher als Meilenstein im Kampf für die Rechte der Frauen in Afghanistan.

Doch die Bedrohung auch für Sahar ist noch lange nicht vorbei. Die religiösen Eiferer in Afghanistan betrachten Schutzhäuser für misshandelte Frauen wie jenes in Kabul, in dem Sahar nun lebt, als "Bordelle" und wollen sie auflösen. Zudem gebe es viele Fälle, die weit schlimmer seien als dieser, sagte Rahima Zarifi, Frauenbeauftragte in Baghlan, der "New York Times". Es würden Frauen ermordet - "und niemand erfährt irgendetwas über sie".