Konflikt wird immer mehr zum Stellvertreterkrieg. Alawiten-Staat in der Küstenregion könnte Assads letzter Zufluchtsort werden

Beirut. Der blutige Konflikt in Syrien wird immer mehr zum Pulverfass für die gesamte Region. Eine islamistische Aufständischengruppe entführte in Damaskus 48 iranische Pilger, denen sie unterstellt, Agenten der Revolutionsgarden zu sein. Der Iran steht aufseiten des Regimes von Präsident Baschar al-Assad. Die syrischen Rebellen werden vom iranischen Rivalen Saudi-Arabien mit Geld und Waffen gestützt.

Die religiös motivierten Gewalttaten in Syrien fordern immer mehr Opfer und bringen einige Beobachter zu dem Schluss, dass Anhänger Assads eine Rückzugszone für Alawiten etablieren wollen. Das Assad-Regime stützt sich massiv auf Alawiten, die gut zehn Prozent der syrischen Bevölkerung ausmachen. Historisch beheimatet ist die Glaubensgruppe in den Dörfern und Städten der bergigen Mittelmeerküste Syriens. Falls das Regime die Großstädte Damaskus und Aleppo nicht mehr kontrollieren könnte, würde es sich in einer Alawiten-Hochburg um die Küstenstädte Tartus und Latakia verschanzen, lautet die These.

"Assads Vorstellung, ganz Syrien zu halten, scheint sehr schwierig zu werden", sagt Elias Hanna, ein strategischer Analyst in Beirut. "In einen alawitischen Staat auszuweichen ist sein Plan B." Es gibt Berichte, wonach an der Küste bereits gezielt sunnitische Familien vertrieben und auch ermordet werden, um eine rein alawitische Region zu schaffen. Zwischen den Weltkriegen existierte dort bis 1937 unter französischem Mandat ein autonomes Territorium der Alawiten, bevor es von Syrien eingegliedert wurde. Nach dem Putsch von 1963, der erstmals die Baath-Partei an die Macht brachte, stärkten die Alawiten ihre Präsenz in der Regierung und bei den Streitkräften. Als Assads Vater Hafis 1970 an die Macht kam, besetzte er militärische Schlüsselpositionen mit Alawiten und vertraute auf die Loyalität seiner Glaubensbrüder.

Daran hat sich bis heute wenig geändert, auch Baschar Assad setzt auf einen von Alawiten bestimmten Machtzirkel. Ein Uno-Bericht schätzt, dass Alawiten im Offizierskorps der Streitkräfte ebenso die Mehrheit ausmachen wie in den Eliteeinheiten der Republikanischen Garde und der gefürchteten Vierten Division unter Führung von Assad-Bruder Maher. Beobachter sprechen von Tausenden Alawiten, die aus umkämpften Städten wie Homs an die Küste ziehen. "Ich fühle mich hier sicherer", sagt in Tartus ein 27-jähriger alawitischer Banker, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollte. "In Homs werden die Bürger von denen terrorisiert, die sich Freie Syrische Armee (FSA) nennen", sagt der Mann. "Ich bin kein Assad-Fan, aber sehr besorgt darüber, was passiert, falls er nicht mehr da ist." Die Massaker in den sunnitischen Dörfern Hula und Masraat al-Kubair im Mai und Juni dieses Jahres passen zur Idee eines Alawiten-Staats, weil sie von alawitischen Städten umgeben an den Hauptstraßen Richtung Küste liegen.

Allerdings halten nicht alle Experten ein solches Szenario für wahrscheinlich. Professor Joshua Landis von der Universität Oklahoma merkt an: "Assad hat nichts dafür getan, den Grundstein für einen Alawiten-Staat zu legen." Der Küstenregion fehle die Infrastruktur, sagt Landis, "kein internationaler Flughafen, keine Elektrizitätswerke, keine wichtige Industrie und nichts, worauf man eine Volkswirtschaft aufbauen könnte". Landis ist sich sicher: "Wer auch immer Damaskus und den Zentralstaat hält, wird auch den Rest Syriens innerhalb kurzer Zeit unter seine Kontrolle bringen."