Franz Josef Jung: Lage im Land muss vor der Präsidentenwahl im August stabilisiert werden.

Berlin. Eigentlich war er in die Bundespressekonferenz gekommen, um eine Erfolgsgeschichte, seine Vier-Jahres-Bilanz, zu präsentieren. Und ganz abbringen lassen wollte sich Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) von diesem Konzept auch in Kenntnis der neuen Nachrichtenlage zu Afghanistan nicht. So kam es, dass der Hesse vor der versammelten Hauptstadtpresse noch einmal ausführlich das feierliche Gelöbnis vor dem Reichstag Revue passieren ließ. Und dann in aller Breite auf das geplante Ehrenmal im Bendlerblock zu sprechen kam, das noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl eingeweiht werden soll. Erst auf Nachfrage äußerte sich der Minister dann auch zu jener neuen Militäroffensive, an der die Bundeswehr im Norden Afghanistans bereits seit Sonntag mit 300 Soldaten, Panzern und mit anderen schweren Waffen beteiligt ist. Jung begründete die Operation, an der auch 900 afghanische Sicherheitskräfte beteiligt sind, mit der Verschlechterung der Lage im Raum Kundus durch die zunehmenden Angriffe und Hinterhalte von Aufständischen der radikalislamischen Taliban. "Wir sind jetzt besonders herausgefordert in Kundus", sagte er. Und Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan ergänzte, das Ziel sei, die Lage dort vor der afghanischen Präsidentschaftswahl im August wieder unter Kontrolle zu bekommen, um einen ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl zu gewähren. "Es war jetzt einfach an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen, auch um Abschreckungseffekte zu erzielen."

Die Offensive in einem Radius von 30 Kilometern um Kundus werde noch etwa eine Woche dauern. Das Sicherheitsproblem sei damit aber nicht erledigt. "Wir sind jetzt sieben Jahre in Afghanistan. Das ist das Problem der Asymmetrie. Wir wissen es nicht, wie sich das entwickelt." Neu an dieser Militäroffensive sei das Ausmaß, das es im Norden so noch nicht gegeben habe. Der Einsatz schwerer Waffen sei dagegen "keine neue Qualität", da die Truppe dort schon lange über das Kriegsgerät verfüge. Die Militärführer vor Ort entschieden aber, wann, wo und wie die Waffen eingesetzt würden.

Nach Angaben aus der Bundeswehr werden radikalislamische Taliban in der Region aus Pakistan gesteuert und finanziert. Die Taliban sollten nun vertrieben und ihre Führungsstrukturen zerstört werden. Laut Verteidigungsministerium kommt auch Luftunterstützung zum Einsatz, in der Militärsprache "close air support" genannt. Das bedeutet, dass die Luftwaffe den Bodentruppen zu Hilfe kommt. Diesmal soll erstmals aus der Luft scharf geschossen worden sein.

Doch Jung wand sich in seiner Antwort auf die Frage, ob er angesichts der Entwicklung von einem Kriegseinsatz der Bundeswehr sprechen würde, und blieb bei seiner altbekannten Semantik: "Wir machen einen Stabilisierungseinsatz und keinen Krieg", sagt er. Ziel sei nicht, die westliche Demokratie nach Afghanistan zu tragen. "Dort müssen wir jetzt die Sicherheitslage in den Griff bekommen, um auch weiter Wiederaufbau vorantreiben zu können." In 360 von 400 Distrikten im Verantwortungsbereich der Bundeswehr im Norden des Landes sei die Lage stabil. Auch existiere keine Notwendigkeit, den Bundestag um eine Ausdehnung des Einsatzes zu bitten. Das Mandat erlaube den Einsatz von bis zu 4500 Soldaten und er habe noch Spielraum, so Schneiderhan.

Doch in der Bevölkerung wächst die Furcht vor Kriegen mit deutscher Beteiligung. Nach dem "Sorgenbarometer" des Magazins "Stern" geben 35 Prozent der Befragten an, davor Angst zu haben - 5 Prozentpunkte mehr als bei einer Umfrage im März.

Die Linke warf Jung vor, er kalkuliere den Tod von immer mehr Zivilisten und Soldaten ein. "Frieden in Afghanistan kann nicht herbeigebombt werden", sagte der Abgeordnete Paul Schäfer. Jung warnte die Linkspartei wiederum davor, den Afghanistan-Einsatz in Deutschland als "Wahlkampf-Munition" zu nutzen. Die Taliban suchten die Bundeswehr gezielt für Angriffe aus, weil sie um die Wirkung in der deutschen Bevölkerung wüssten. Die Taliban missbrauchten auch Kinder als Schutzschilde und hätten keinen Respekt vor Krankenwagen. Die FDP-Verteidigungsexpertin Birgit Homburger sprang ihm bei. "Zur Gewährleistung von Sicherheit und der Durchführung von zivilen Aufbauprojekten ist militärische Präsenz auch weiterhin notwendig", sagte sie dem Abendblatt.

Dazu dürfte schon bald wieder Gelegenheit sein: Deutschland und die Niederlande wollen beim Wiederaufbau im Süden Afghanistans in den schwer umkämpften Provinzen Urusgan und Kandahar zusammenarbeiten. Gestern wurde eine entsprechende Vereinbarung in Berlin unterzeichet.