Täglich verlassen Tausende Menschen das hat umkämpfte Land. Doch viele Staaten und Organisationen erfüllen ihre Hilfszusagen nicht.

Damaskus/Beirut. Wenn die Dämmerung kommt, erwacht das Dorf zum Leben. Aus den Olivenhainen kommen Menschen, ihre Koffer fest umklammert. Auf dem kurvigen Feldweg drängen sich Autos, die Menschen einsammeln und ausladen. Bauern stellen sich vor ihre Höfe, um den Syrern ein Bett anzubieten, die sich über einen der unzähligen illegalen Grenzübergänge in die Türkei durchgeschlagen haben. "Wir müssen uns um sie kümmern, denn es sind unsere Brüder und Schwestern", sagt Suphi Atan, ein Sprecher des Außenministeriums in Ankara. Etwa 43.000 Menschen sind ihm zufolge derzeit in Flüchtlingslagern auf der türkischen Seite der Grenze untergebracht.

Angesichts der zunehmenden Gewalt in Syrien befürchtet die EU-Kommission eine Ausweitung des Flüchtlingsdramas. "Aus einer humanitären Perspektive hat sich die Situation im Laufe der vergangenen vier bis fünf Wochen erheblich verändert", sagte ein Mitarbeiter der Kommissionsabteilung für humanitäre Hilfe. "Wir rennen einem Zug hinterher, der ständig beschleunigt."

Zugleich drohe den internationalen Helfern das Geld auszugehen, erklärte die Brüsseler Behörde gestern. So sei ein 180 Millionen US-Dollar (146 Millionen Euro) schwerer Hilfsplan der Vereinten Nationen Anfang Juli erst zu 21 Prozent finanziert gewesen. Auch bereits zugesagte weitere 193 Millionen Dollar (157 Millionen Euro) für die Aufnahme und Versorgung von Bürgerkriegsflüchtlingen in den Nachbarländern Syriens seien erst zu 26 Prozent geflossen.

+++ Rebellen und Militär liefern sich Schlacht um Aleppo +++

Jenseits der syrischen Grenzen steigt die Zahl der Flüchtlinge von Tag zu Tag. Mehr als 120.000 sind laut Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Jordanien, im Libanon, in der Türkei und im Irak registriert. Zusätzlich gebe es eine große Dunkelziffer. Viele der Geflohenen seien auf humanitäre Hilfe und auf Spenden angewiesen. Drei Viertel von ihnen seien Frauen und Kinder. Jordanien, in das sich derzeit täglich 1000 Syrer retten, richtet nun eine Zeltstadt für 130.000 Bewohner in der Nähe der Grenzstadt Mafrak ein. Die ersten Unterkünfte für 10 000 Menschen sollen Anfang kommender Woche zur Verfügung stehen.

Und obwohl die Türkei die offiziellen Grenzübergänge nach Syrien Mitte der Woche geschlossen hat, kommen weiter Flüchtlinge: Bis gestern Nachmittag waren es nach offiziellen Angaben 145. Sie seien über Schmugglerpfade geflohen, hieß es.

Derweil formieren sich Rebellen und Regimetruppen nach tagelangen blutigen Kämpfen um die nordsyrische Millionenmetropole Aleppo für die entscheidenden Gefechte. Das syrische Militär bereitete gestern mit massiven Artillerieangriffen in den südlichen Stadtbezirken Muhafasa, Maschaad, Scheich Badr und Salaheddin eine Bodenoffensive vor. Die Aufständischen schlugen nach eigenen Angaben Vorstöße der Regimetruppen zurück. "Wir kontrollieren jetzt 50 Prozent der Stadt", sagte der Kommandeur der Rebellen in Aleppo, Abu Omar al-Halebi.

Die Kämpfe in der Handelsmetropole dauern seit dem vergangenen Wochenende an. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad hatte Mitte der Woche damit begonnen, Tausende Soldaten für den Kampf um die zweitgrößte Stadt des Landes in den Norden zu verlegen. Zugleich sollen Kampfjets die Nachschubwege der Aufständischen bombardiert haben, sagte Rebellenkommandeur al-Halebi.

In der Hauptstadt Damaskus lieferten sich gestern Aufständische und Sicherheitskräfte im palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk Gefechte, berichteten Aktivisten. Auch im Stadtteil Al-Hadschar al-Aswad und in anderen Landesteilen gingen die Kämpfe mit unverminderter Härte weiter.

Wegen der andauernden Gefechte schickten die Vereinten Nationen 150 ihrer unbewaffneten Beobachter nach Hause, die in Syrien eigentlich die vereinbarte Waffenruhe überwachen sollten. Damit sei die Beobachtermission auf die Hälfte ihres ursprünglichen Bestands reduziert worden, sagte Uno-Untergeneralsekretär Hervé Ladsous in Damaskus.

General Manaf Tlass, der bisher höchste Offizielle, der sich vom Assad-Regime abgewandt hat, erklärte, dass er an der Einigung der zerstrittenen syrischen Opposition arbeite. "Ich werde jeden ansprechen, der Syrien wiederaufbauen möchte", sagte er im Interview mit einer saudischen Tageszeitung. Tlass hatte sich Anfang Juli aus Syrien abgesetzt. Er war Kommandeur einer Brigade der Republikanischen Garde und mit Assad persönlich befreundet.