Der Stromkonzern behindert laut unabhängigen Experten die Ermittlungen nach dem Reaktorunfall in Fukushima. Auch die Regierung steht in der Kritik.

Tokio. Ein von der japanischen Regierung eingesetzter Untersuchungsausschuss hat dem Fukushima-Betreiber Tepco Behinderung der Ermittlungen nach dem Reaktorunfall und versuchte Vertuschung über das wahre Ausmaß der Schäden im Atomkraftwerk vorgeworfen. Auch mit der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Naoto Kan gingen die zehn unabhängigen Experten hart ins Gericht: Sie warfen ihr schlechtes Krisenmanagement vor. Die Schwere des Unglücks sei heruntergespielt, die Öffentlichkeit nur scheibchenweise und noch dazu zeitverzögert informiert worden.

Die japanischen Atomkraftwerke sind laut Abschlussbericht der Untersuchungskommission trotz verschärfter Sicherheitsbestimmungen nach der Atomkatastrophe von Fukushima womöglich nicht ausreichend gegen Erdbeben und Tsunamis geschützt. Die sofort nach der Katastrophe vom 11. März 2011 angeordneten Maßnahmen würden zwar noch detailliert ausgearbeitet und vollständig umgesetzt, heißt es in dem von der Universität Tokio erstellten Bericht.Doch weder die Aufsichtsbehörden noch der Energiekonzern Tepco, der das AKW Fukushima II betreibt, seien auf eine gewaltige Naturkatastrophe vorbereitet. Sie hätten sich von einem „Sicherheitsmythos“ einlullen lassen.

„Wir fordern die Verantwortlichen dringend auf, sich weiterhin zu bemühen und wirklich wirksame Schritte zu unternehmen“, heißt es in dem Bericht

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Der amtierende Regierungschef Yoshihiko Noda, dem der Abschlussbericht am Montag ausgehändigt wurde, gelobte, es künftig besser zu machen. „Wir nehmen ihn (den Bericht) ernst“, erklärte Noda in einer ersten Stellungnahme. Er werde die Ergebnisse und Empfehlungen für die Umstrukturierung der Atomaufsichtsbehörde nutzen, die ab September ihre Arbeit aufnehmen soll. Die NISA, die direkt dem Wirtschaftsministerium unterstellt war, soll unabhängiger und effizienter werden. Sie wurde in dem 450 Seiten starken Abschlussbericht der Experten als zahnlose Behörde beschrieben, die die ihr zugewiesene Rolle als Aufsichtsorgan nicht erfüllt habe.

Die Regierung und der Atomkraftwerksbetreiber Tepco hätten die Krise nicht aus Unkenntnis über die Gefahren eines möglichen Tsunamis zu verhindern versäumt. Vielmehr wollten sie nicht Zeit und Geld in Vorsichtsmaßnahmen investieren, weil sie die Gefahr nicht als real wahrgenommen hätten. Tepco habe die Regierung sogar aufgefordert, die Wahrscheinlichkeit eines Tsunamis in der Region in einem Bericht über ein Erdbebenrisiko zu untertreiben. Das schlechte Krisenmanagement nach dem Erdbeben und Tsunami im März vergangenen Jahres habe zu verstärkter Einmischung Kans und seines Kabinetts in die Belange der Kraftwerksbetreiber geführt, das das Chaos aber nur verschlimmert habe.

Die Experten warfen der Regierung Kans vor, der Öffentlichkeit wichtige Informationen vorenthalten und die Katastrophe heruntergespielt zu haben, wodurch sie die Bevölkerung erhöhten Gesundheitsrisiken ausgesetzt und Misstrauen in die Behörden geschürt hätten. Nachdem einem NISA-Vertreter im März herausgerutscht war, dass es zu einer Kernschmelze in den Reaktoren kommen könne, habe die Behörde alle Mitteilungen von Kans Büro absegnen lassen müssen. Die NISA bestritt noch Monate später, dass es zu Kernschmelzen gekommen sei.

Tepco habe unter anderem unliebsame Daten einer Computeranalyse über das mögliche Ausmaß der Schäden im Innern der Reaktoren zurückgehalten. In einer Anhörung erklärten Tepco-Vertreter nur, die Simulation sei mangelhaft gewesen. Ein weiterer Versuch, die Lage in den Reaktoren nachzustellen, sei nicht unternommen worden. Bei Befragungen von Tepco-Mitarbeitern hätten diese zwar Kenntnisse über Notfallausrüstung gezeigt, diese aber nicht bei der Krisenbewältigung eingesetzt. Die Arbeiter seien nicht angeleitet worden, eigenständig zu denken, ihnen habe es an einer flexiblen und proaktiven Denkweise gemangelt, die beim Krisenmanagement vonnöten sei.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass es keinen Beweis dafür gebe, dass das Erdbeben die Hauptursache der Atomkatastrophe war. Aber sein Einfluss könne auch nicht ausgeschlossen werden. Damit widersprechen die Experten dem Betreiber Tepco, der nur die Flutwelle verantwortlich macht. Die Experten werfen den Aufsichtsbehörden vor, sie hätten nicht ausreichend kontrolliert, ob die von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) empfohlenen Standards umgesetzt werden.

Ähnliche Kritik war bereits Anfang des Monats in einer anderen Studie zu dem AKW-Unglück geäußert worden. Darin hieß es, die Katastrophe von Fukushima sei vermeidbar gewesen. Sie sei das Ergebnis von Verwirrung zwischen Regierung, Aufsichtsbehörden und Tepco sowie einem Mangel an Führung gewesen.

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Die Studien dürften der Anti-AKW-Bewegung in Japan Auftrieb geben. Die Atomkraft-Gegner erhielten bereits großen Zulauf, als Ministerpräsident Yoshihiko Noda entschied, in diesem Monat zwei Reaktoren von Kansai Electric Power wieder ans Netz zu nehmen: Mehr als 100.000 Menschen gingen auf die Straße und protestierten gegen die Entscheidung. Kritiker warnen, dass die beiden Reaktoren nicht den Sicherheitsauflagen genügen.

Nach der Katastrophe waren in Japan alle 50 Reaktoren zur Überprüfung vom Netz genommen worden – der letzte im Mai. Damit war Japan ohne Atomstrom – zumindest für zwei Monate, bis der erste Reaktor wieder in Betrieb ging.

(dapd/Reuters/abendblatt.de)