Familien müssen weiter über Festnahme von Verwandten und die Gründe dafür informiert werden

Peking. Es kommt im sozialistischen China nicht oft vor, dass Parteizeitungen und Bürgerrechtler gleichermaßen den Volkskongress loben, weil der sich für ein Stück mehr Rechtssicherheit einsetzt. Gestern passierte genau das. Mehr als 80 000 schriftliche Einsprüche von Bürgern halfen die Abgeordneten zu überzeugen, einen Entwurf für ein umstrittenes neues Ermächtigungsgesetz zu kippen, das Pekings Weg in den Polizeistaat legalisiert hätte. Der Rechtsausschuss des Parlaments zog eine geplante Bestimmung zur Revision des von 1996 stammenden Strafrechts zurück. Sie hätte in einem Zusatz der Polizei erlaubt, bei Straftaten mit "staatsgefährdendem oder terroristischem Hintergrund" Verdächtige festzunehmen und festzuhalten, ohne ihre Familien innerhalb von 24 Stunden benachrichtigen zu müssen.

Die Abgeordneten bestanden darauf, dass die Polizei bei jedem Festgenommenen die Familie innerhalb von 24 Stunden informieren muss, wo er einsitzt und wessen er beschuldigt wird. Nur wenn Gefahr im Verzug ist oder wenn niemand informiert werden kann, sind Ausnahmen zulässig. Solche Fälle müssen von der nächsthöheren Ermittlungsbehörde genehmigt werden. Parteizeitungen wie die "Renmin Ribao" begrüßten die "klare Regelung". Die für Intellektuelle herausgegebene "Guangming Ribao" schrieb, dass sich "die Bewahrung von Menschenrechten in den Details verkörpert".

Chinas Bürgerrechtler wie der unter Berufsverbot stehende Anwalt Liu Xiaoyuan lobten in Blogs die Entscheidung. Liu gehörte ebenso wie der Künstler Ai Weiwei im Frühjahr zu den Betroffenen polizeilicher Willkür. Pekinger Behörden verschleppten sie, wie Dutzende andere Anwälte, Autoren und Aktivisten, weil sie ihnen unterstellten, nach arabischem Vorbild eine Revolte zu planen. Ihre Familien wurden nicht informiert. Opfer von solch oft politisch motivierter Polizeiwillkür wurden auch Liu Xiaobo, der in Haft den Friedensnobelpreis erhielt, und der Mitte 2011 nach dreieinhalb Jahren Haft freigelassene Sacharow-Preisträger Hu Jia. Der 38-Jährige wurde zum schärfsten Kritiker der Justizbehörden, als diese im August versuchten, ihre ominösen Bestimmungen über die Revision des Strafrechts zu legalisieren. Hu warnte, dass die Polizei damit "in Zukunft Zehntausende verschwinden lassen kann". Internationale Juristen warnten Peking vor einem "großen Schritt weg vom Rechtsstaatsprinzip". Chinas aufgeklärtes Bürgertum sah im geplanten Gesetz "einen Freibrief für den Missbrauch von Polizeimacht". Nachdem der Volkskongress den Revisionsentwurf auf seiner Webseite vorstellte, gingen bis Ende September 80 954 vorwiegend kritische Einwände ein.

Die ermutigende Debatte über die Strafrechtsrevision hat mit der realen Justiz jedoch nur wenig zu tun. Innerhalb weniger Tage wurden zwei Bürgerrechtler verurteilt: am 23. Dezember Chen Wei zu neun Jahren Haft und am 26. Dezember Chen Youcai zu zehn Jahren. Die rechtsbeugenden Anklagen gegen sie lauteten jeweils "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" und bezogen sich auf kritische Artikel im Internet. Die Richter statuierten ein Exempel an zwei Aktivisten für demokratische Reformen.