Die Beobachterdelegation der Arabischen Liga wurde von rund 70.000 Demonstranten in der syrischen Protesthochburg Homs enpfangen. Zuvor hatten syrische Regierungstruppen das Feuer auf Regimegegner eingestellt. Doch die Ruhe ist nicht von Dauer.

Kairo/Beirut. Zehntausende wütende Demonstranten haben am Dienstag in der syrischen Protesthochburg Homs den Beobachtertrupp der Arabischen Liga empfangen. Die Beobachtergruppe für Menschenrechte sprach von 70.000 Teilnehmern am Protestmarsch gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad. Der sudanesische General Mustafa al-Dabi führt die Delegation der Araber an. die drittgrößte Stadt des Landes. Wenige Stunden zuvor waren in der drittgrößten Stadt des Landes bei heftigen Kämpfen mindestens sechs Menschen getötet worden. Sicherheitskräfte versuchten zudem, den Protestzug mit Einsatz von Tränengas zu stoppen. Kurz vor Ankunft der Beobachterdelegation haben die syrischen Regierungstruppen ihre Angriffe dann weitgehend eingestellt.

Offenbar fühlen sich die Demonstranten durch den Besuch einer Beobachtergruppe der Arabischen Liga ermutigt, auf die Straße zu gehen. Auf Amateurvideos waren zahlreiche Menschen zu sehen, die auf die Straßen der drittgrößten Stadt Syriens strömten und Parolen skandierten, laut denen sie sich nicht länger einschüchtern lassen wollen. Die Bilder zeigten auch, wie der offene Sarg mit der Leiche eines älteren weißbärtigen Mannes von der Menge durch die Straßen getragen wurde. Von der Bevölkerung wurden die Beobachter mit lauten Parolen empfangen. „Das Volk will den Sturz des Präsidenten“ riefen sie. In dem Stadtteil Khaldiya versammelten sich nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London bis zu 30.000 Oppositionelle. „Die Menschen sind wütend und zeigen das auch der Delegation“, beschrieb ein Bewohner die Stimmung. Amateuraufnahmen zeigen Einwohner von Homs im Gespräch mit den Beobachtern. „Wir sind unbewaffnete Menschen, die hier sterben“, rief ein Mann den Beobachtern auf der Videoaufnahme zu. Eine andere Stimme rief: „Wir werden hier abgeschlachtet“. Eine Frau sei auf die Beobachter zugegangen und habe gerufen: „Sie haben unsere Männer und Kinder getötet.“

Noch wenige Stunden zuvor war gekämpft worden in Homs. Vor allem der Stadtteil Baba Amro stand unter Dauerbeschuss, Aktivisten meldeten sechs Tote. Um 7.00 Uhr Ortszeit aber begann das Militär mit den Vorbereitungen für den offiziellen Besuch aus dem Ausland: Oppositionelle beobachteten, wie elf Panzer aus dem Unruhedistrikt Baba Amro abgezogen wurden. Auch der Granatenbeschuss habe am Morgen aufgehört, sagte der Oppositionelle Mohammed Saleh. Ein weiterer Aktivist berichtete, gepanzerte Fahrzeuge hätten Homs Richtung Palmyra verlassen. Die in London ansässige Menschenrechtsorganisation Syrian Observatory for Human Rights hingegen meldete, einige Fahrzeuge der Streitkräfte seien lediglich in Kasernen verlegt worden, „von wo sie innerhalb von fünf Minuten wieder eingesetzt werden können“. Die Gegend habe seit Montag unter Dauerbeschuss gestanden, hieß es. Insgesamt sollen dabei 60 Menschen ums Leben gekommen sein.

Die zwölfköpfige Delegation kam zunächst mit dem Gouverneur der Stadt, Ghassan Abdelal, zusammen, wie das Staatsfernsehen berichtete. Nach dem Besuch der besonders umkämpften Stadtteile wollte die Gruppe auch nach Hama und Idlib reisen, wo es ebenfalls immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt. Bis Ende Januar sollen 150 Experten der Arabischen Liga in Syrien sein und den Abzug der Armee aus den Städten überwachen. Ehrgeiziges Ziel der Mission ist es, das Blutvergießen zu beenden, das während des Arabischen Frühlings seinen Anfang nahm. Menschenrechtsgruppen und Journalisten sollten ferner wieder nach Syrien einreisen dürfen. Mehr als 5000 Menschen kamen nach Schätzungen der Vereinten Nationen beim Aufstand gegen Assad inzwischen ums Leben. In Idlib nahe der Grenze zur Türkei hat es in der vergangenen Woche heftige Gefechte zwischen der syrischen Armee und Deserteuren gegeben. Dabei wurden nach Angaben von Aktivisten aus der Region etwa 250 Menschen getötet.

In der Initiative der Arabischen Liga sehen die Aktivisten der Demokratiebewegung allerdings keine Lösung und sprechen gar von einem „Protokoll des Todes“. Assad habe nur eingewilligt, um zu verhindern, dass sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Thema befasst. Genau das will aber die Opposition: So soll der Weltsicherheitsrat Schutzzonen im Grenzgebiet zur Türkei einrichten, in denen Oppositionelle und Deserteure aus der syrischen Armee Zuflucht finden. Doch landesweite Demonstrationen gegen die Mission fanden am Freitag kaum Beachtung, da ein Selbstmordanschlag die Krise in eine neue Dimension führte: Die Täter hatten mit Autobomben Gebäude der Sicherheitskräfte angegriffen und 44 Menschen mit in den Tod gerissen.

Die Benennung des sudanesischen Generals Mustafa al-Dabi zum Leiter der Mission hält so mancher ebenfalls für eine unglückliche Wahl. Sudanesische Aktivisten der in Washington ansässigen Gruppe „Enough Project“ werfen dem ehemaligen hochrangigen Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes vor, Kriegsverbrechen in Darfur gedeckt zu haben. Der 63-Jährige war vor Ausbruch des dortigen Konfliktes für die Sicherheit in der Region verantwortlich. Später vermittelte er zwischen der sudanesischen Regierung und den Friedenstruppen von Vereinten Nationen und Afrikanischer Union. Er gilt als Vertrauter des sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir, gegen den es wegen der Kriegsverbrechen in Darfur ein internationaler Haftbefehl ausgestellt wurde.

Auf einen Monat ist die Mission der Liga zunächst befristet. In dieser Zeit wollen die arabischen Diplomaten, Militärs und anderen Experten mehr als 100 Krisenherde besuchen. Danach wird sich zeigen, ob die vorläufig erreichte Waffenruhe auch von Dauer ist.

Mit Material von dpa/rtr