In Nigeria sterben 40 Christen bei Anschlägen. Menschen fürchten sich vor weiteren Attentaten

Nairobi/Abuja. Die Terroristen der islamistischen Boko-Haram-Bewegung hatten die Anschläge mit grausamer Präzision geplant: Um möglichst viele nigerianische Christen zu töten, ließen sie die Sprengsätze zu Weihnachten vor Kirchen detonieren. Dass die vier Attentate am ersten Weihnachtsfeiertag nicht mehr als die geschätzten 40 Opfer in den Tod rissen, ist Zufällen zu verdanken. In Jos konnte die Polizei Sprengsätze sicherstellen, bevor sie explodierten; mehrere Bomben waren zudem in der vergangenen Woche vorzeitig in die Luft gegangen.

Dennoch könnte die Rechnung der Boko-Haram-Gruppe aufgehen: Ihr Ziel ist es vermutlich, neue Unruhen zwischen christlichen und muslimischen Jugendlichen zu provozieren. Gelingt ihr das, würde das den Vielvölkerstaat Nigeria in seinen Grundfesten erschüttern. Die jahrelang kaum beachtete Sektierergruppe, die der Prediger Mohammed Yusuf 2002 im Nordosten Nigerias gründete, ist die mit Abstand größte Gefahr für den Frieden in Afrikas bevölkerungsreichstem Land. Allein zwischen Juli 2010 und Juni 2011 fielen Boko Haram laut Menschenrechtsgruppen bei Anschlägen mehr als 250 Menschen zum Opfer. Das Ziel von Boko Haram: Errichtung eines Gottesstaates. Die aktuelle Anschlagsserie hat weltweites Entsetzen ausgelöst. Papst Benedikt XVI. zeigte sich beim Angelusgebet in Rom bestürzt. Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon erklärte, die Anschläge seien durch kein Ziel zu rechtfertigen. Bundespräsident Christian Wulff sprach von "feiger Gewalt", die von keiner Religion gedeckt sei.

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch kritisierte die Politik dafür, dass wirtschaftliche Interessen häufig Vorrang vor der Verteidigung der Religionsfreiheit hätten. So werde übersehen, dass Länder, die bei der Rettung des Euro helfen sollen, Menschen aufgrund ihrer Religion diskriminierten. Der Grünen-Politiker Volker Beck pflichtete Zollitsch bei. So wolle die Bundesregierung die Lieferung von 200 Panzern nach Saudi-Arabien genehmigen, obwohl dort auf brutalste Weise Menschenrechte verletzt würden. Erst kürzlich sind 42 Christen in Saudi-Arabien verhaftet worden.

Immer wieder fordert der Konflikt zwischen verschiedenen Religionen in Nigeria Opfer. Auch militante Christen hatten in der Vergangenheit Muslime angegriffen. Doch Nigeria erlebt keinen Religionskrieg, es geht um Ressourcen. In vielen Gebieten des Landes leben die Anhänger der unterschiedlichen Regionen friedlich nebeneinander. Religion diene den Scharfmachern vor allem als Vorwand für Gewalt gegen die andere Ethnie, sagen Experten. Die muslimischen Stämme betreiben traditionell Handel, die Christen im Süden vor allem Ackerbau und Viehzucht. Hinter scheinbar religiösen Konflikten steht der Kampf um Wasser und Ackerland.

Nigerias Präsident Goodluck Jonathan ist ein Christ aus dem Süden. Kritiker werfen ihm vor, Boko Haram als reine Sicherheitsfrage zu behandeln und auf weitergehende Fragen wie Armut, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Korruption und das Gefühl der Muslime im Norden, sich zunehmend vom Gesamtstaat zu entfremden, nicht ausreichend einzugehen.