Heute findet das Staatsbegräbnis in Prag statt. Eine ehemalige Abendblatt-Fotografin nimmt persönlich Abschied

Hamburg. Jeden Sonntagabend schloss sich mein Vater in der Küche ein. Erst als ich etwa 14 Jahre alt war, weihte er mich in sein Geheimnis ein. Immer am Sonntag um 21 Uhr hieß es "Hlas Ameriky-vysilani pro Ceskoslovenko", Voice-of-America-Sendung für die Tschechoslowakei. Ich kannte also die Charta 77 und den Namen Vaclav Havel, wusste von den Theateraufführungen unseres Dramatikers auf den Weltbühnen, von seinen Gefängnisstrafen, wusste, dass in der CSSR eine Menschenrechtsbewegung existierte, die sich dem kommunistischen Regime aktiv entgegenstellte.

Ich habe 1981 die Tschechoslowakei verlassen. In Deutschland hatte ich dann freien Zugang zu den Informationen. Und dann kam das Jahr 1989. Vaclav Havel wurde am 29. Dezember zu unserem ersten frei gewählten tschechoslowakischen Präsidenten nach über 40 Jahren gewählt. Ich konnte es zu dem Zeitpunkt in Hamburg nicht aushalten und bin dann nach Prag gereist. Tausende von Tschechen und Slowaken feierten die Wahl des neuen Präsidenten. Viele haben gelacht, geweint, gesungen und den Präsidenten gefeiert, der uns die Freiheit brachte.

Da sah ich ihn zum ersten Mal. Ich war gerührt. Bei der Einführung in das Amt des Präsidenten marschierte unser Vaclav Havel an den Soldaten vorbei in einer ziemlich kurzen Hose. Aber das Volk hatte ihn nicht ausgelacht. Die Menschen haben ihn für diesen Fauxpas geliebt. Er war kein Halbgott, sondern eine Mischung aus Selbstironie, Demut, Empathie, er strahlte eine gewisse Wehrlosigkeit aus. Im Frühjahr dieses Jahres wurde er zum drittwichtigsten Menschen der tschechischen Geschichte gewählt. Nach dem Heiligen Wenzel, dem tschechischen Nationalheiligen, der am 28. September 929 ermordet wurde, und dem ersten Präsidenten der Tschechoslowakei im Jahre 1918, Tomas Garrigue Masaryk.

Ich konnte ihn persönlich erleben in seinem Amtssitz, der Prager Burg, im Jahr 1990. Ich bin mit einer Hamburger Delegation des damaligen Bürgermeisters Henning Voscherau anlässlich der Städtepartnerschaft Hamburg-Prag mitgereist. Unser Präsident kam, setzte sich an die Lehne eines Sessels und fing an zu erzählen, als wäre er unser alter Bekannter. Er sprach von seiner Beziehung zu Hamburg und dem Rowohlt Verlag in Reinbek. Auch die zwei Ordensschwestern Alena und Angelika, die seit Juli die Ehefrau Dagmar bei der Pflege unseres Präsidenten unterstützten, sprechen von dessen Bescheidenheit und Warmherzigkeit. Vaclav Havel aß mit ihnen an einem Tisch, er bedankte sich für jede Kleinigkeit. An seinem letzten Abend aß er Pellkartoffeln mit Fetakäse, sein Lieblingsessen.

Jetzt ist er tot. Mitten in Europa hat das Herz des großen Europäers aufgehört zu schlagen. Nach drei Tagen der Staatstrauer (auch in der Slowakei) wird heute im Veitsdom die Trauerfeier stattfinden - in dem Dom, wo auch die sterblichen Überreste des Heiligen Wenzel aufbewahrt sind. Es gibt heute viele Tränen in Prag. Vaclav Havel ist Geschichte der Tschechen und Slowaken und des vereinigten Europas. Er ist und bleibt unser Präsident.