Zehntausende demonstrieren gegen das Wahlergebnis. Friedensnobelpreisträger Gorbatschow fordert Neuwahlen.

Moskau. Zehntausende demonstrieren gegen das Wahlergebnis. Friedensnobelpreisträger Gorbatschow fordert Neuwahlen. Doch Premier Putin macht weiter wie bisher. Demonstrativ reicht er seine Unterlagen für die Präsidentenwahl ein.

Nach den Fälschungsvorwürfen bei der russischen Parlamentswahl und der Massenfestnahme von Kremlgegnern hat Ex-Sowjetpräsident Michail Gorbatschow eine Neuabstimmung gefordert. „Die Führung des Landes muss anerkennen, dass es zahlreiche Verstöße und Manipulationen gegeben hat, und dass die veröffentlichten Ergebnisse nicht den Willen der Wähler wiedergeben“, sagte der Friedensnobelpreisträger am Mittwoch der Agentur Interfax in Moskau. Am Dienstagabend waren landesweit mehr als 800 Demonstranten vorübergehend festgenommen.

In Eilverfahren wurden am Mittwoch weiter Dutzende Gegner von Regierungschef Wladimir Putin zu Geld- und Arreststrafen verurteilt, nachdem sie gegen Wahlfälschungen demonstriert hatten. „Eine Lüge tötet die Glaubwürdigkeit einer Regierung“, sagte der 80-jährige Gorbatschow. „Das könnte das Land destabilisieren.“ Gorbatschow hatte Putin mehrfach autoritäre Machtstrukturen vorgeworfen.

Ungeachtet des ungewöhnlich starken Drucks von der Straße reichte Putin demonstrativ seine Kandidatur für die Präsidentenwahl am 4. März bei der Wahlkommission in Moskau ein. Moskauer Medien debattierten unterdessen immer intensiver, wie eine Zukunft mit oder ohne Putin aussehen könne. Laut Umfragen galt der 59-Jährige aber weiter als der mit Abstand populärste Politiker.

Das Machtlager hatte zuletzt versichert, dass es einen „neuen Putin mit neuen Ideen und Initiativen“ geben werde. Der Regierungschef will im nächsten Jahr sein Amt mit Präsident Dmitri Medwedew tauschen. Diese Abmachung des Machttandems unter Ausschluss der russischen Öffentlichkeit sorgt seit Wochen für Unmut in der Bevölkerung.

Oppositionspolitiker forderten die sofortige Freilassung der am Vorabend abgeführten Putin-Kritiker. Allein in Moskau waren bei Protesten gegen den Wahlsieg der Putin-Partei Geeintes Russland von den geschätzten 2000 Teilnehmern mehr als 560 vorläufig in Polizeigewahrsam gekommen. Auch Menschenrechtler und Journalisten wurden für mehrere Stunden festgehalten.

Die Bundesregierung mahnte die in der russischen Verfassung garantierte Versammlungsfreiheit an. Deutschland erwarte, dass Russland als Mitglied im Europarat seinen demokratischen Verpflichtungen nachkomme, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Dazu gehörten auch Chancengleichheit für die politische Opposition und rechtsstaatliche Behandlung.

In der zweitgrößten Stadt St. Petersburg nahm die Polizei am Dienstagabend mindestens 250 Demonstranten fest. Auch aus dem südrussischen Rostow am Don und der Wolga-Stadt Samara wurden Festnahmen gemeldet. Der Menschenrechtsbeauftragte des Kremls, Michail Fedotow, kritisierte das harte Durchgreifen von Polizei und Justiz. Dass die Polizei den Festgenommenen über Stunden Wasser und Nahrung verwehrt habe, sei „absolut inakzeptabel“, sagte Fedotow.

„Das Wahlergebnis entspricht nicht dem Wählerwillen“, sagte der Chef der liberalen Partei Jabloko, Sergej Mitrochin. Jabloko hatte bei der Parlamentswahl am Sonntag den Einzug in die Staatsduma nach offiziellen Angaben klar verpasst. Mitrochin kündigte an, gegen Wahlfälschungen in allen Instanzen zu klagen. „Wir wollen keine Revolution, sondern Demokratie nach europäischem Vorbild. Das ist ein langer Weg“, sagte Jabloko-Gründer Grigori Jawlinski.

Für den kommenden Samstag rief die außerparlamentarische Opposition im Internet zu einer genehmigten Demonstration in der Nähe des Kremls auf. Mehr als 15 000 Menschen hatten sich bis zum Mittwochnachmittag (Ortszeit) bereits über soziale Netzwerke dazu angemeldet. An einer erlaubten Kundgebung in Moskau am Montagabend hatten sich Schätzungen zufolge weit mehr als 6000 Putin-Gegner beteiligt. Auch danach hatte es mehr als 300 Festnahmen gegeben.

Der kremltreue russische Wahlleiter Wladimir Tschurow hatte die von Putin geführte Regierungspartei Geeintes Russland mit fast 50 Prozent der Stimmen zum Sieger der Duma-Wahl erklärt. Kremlchef Medwedew lobte die Wahl als demokratisch. „Sie sind ja fast ein Zauberer“, hatte Medwedew im Gespräch mit Tschurow über die Ergebnisse gesagt. Die Bundesregierung, die USA und Wahlbeobachter haben massive Zweifel geäußert, dass die Abstimmung frei und fair abgelaufen sei.