Nach Auszählung von zwei Dritteln der Stimmen rutscht Einiges Russland bei der Duma-Wahl auf 50 Prozent. Kritische Internetseiten lahmgelegt

Moskau. Regierungschef Wladimir Putin sprach in einer ersten Reaktion auf die großen Stimmenverluste seiner Partei Einiges Russland bei der gestrigen Parlamentswahl von einem "optimalen Resultat in einer schwierigen Zeit". Präsident Dmitri Medwedew versicherte: "Das Ergebnis bildet die Stimmung in der Bevölkerung ab" - und widersprach damit indirekt Vorwürfen der Wahlmanipulation. Das gute Ergebnis von 2007 - Einiges Russland hatte seinerzeit mehr als 64 Prozent der Stimmen und eine Zweidrittelmehrheit im Parlament gewonnen - sei wegen der damaligen "Höhe der wirtschaftlichen Entwicklung" nicht zu wiederholen gewesen, sagte Medwedew in einer im Staatsfernsehen live übertragenen kurzen Rede vor Anhängern.

Die gestrige Wahl könnte der Anfang vom Ende einer Ära der grenzenlosen Macht für Putin gewesen sein. Die weltweit beachtete Abstimmung sollte den für den 4. März 2012 geplanten Ämtertausch zwischen Putin, der schon von 2000 bis 2008 Präsident war, und Medwedew einleiten. Die Parlamentswahlen wurden von massiven Wahlfälschungsvorwürfen und Polizeieinsätzen gegen die Opposition überschattet. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, behauptete, Beobachter seiner Organisation hätten in Moskau eine mit 300 Stimmzetteln gefüllte Wahlurne entdeckt, bevor die Wahllokale überhaupt geöffnet hatten. Zudem waren mehrere kremlkritische Internetseiten wie jene des Radiosenders Echo Moskwy oder der Wahlbeobachterorganisation Golos am Wahltag offenbar durch eine groß angelegte Cyber-Attacke lahmgelegt worden.

Regierungsgegner wie der nicht zur Wahl zugelassene Politiker Wladimir Ryschkow hatten schon vorab von der "schmutzigsten Wahl" seit dem Ende der Sowjetunion gesprochen. Mehrere kremlkritische Internetseiten etwa waren den gesamten Wahltag über blockiert. Es war der erste Zwischenfall dieser Art überhaupt in Russland.

Das Internet galt in einem von Staatsmedien geprägten Umfeld bisher als wichtiger Raum für die Meinungsfreiheit. Viele Russen werfen der von Kritikern als "Partei der Gauner und Diebe" bezeichneten Kremlpartei Bevormundung und Vetternwirtschaft vor und klagen über Justizwillkür sowie Schikanen.

In Moskau protestierten mehrere Dutzend Menschen mit Flugblättern gegen "unsaubere Wahlen". Eine Gruppe junger Leute skandierte "Schande". Die Polizei nahm mehr als 130 Oppositionelle fest, darunter den Autor Eduard Limonow.

Auch bei Protesten in der zweitgrößten Stadt St. Petersburg griffen die Sicherheitskräfte hart durch. Landesweit sorgten 330 000 Sicherheitskräfte im Einsatz, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

In dem flächenmäßig größten Land der Erde mit neun Zeitzonen waren insgesamt etwa 110 Millionen Menschen zur Wahl der 450 Abgeordneten für die Staatsduma aufgerufen. Zu der Abstimmung waren alle sieben in Russland registrierten Parteien zugelassen. Außer Einiges Russland mit Medwedew als Spitzenkandidaten rechneten drei Parteien mit dem Sprung über die Sieben-Prozent-Hürde für die Staatsduma: die Kommunisten, die ultranationalistische Liberaldemokratische Partei des Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski sowie die moderate Oppositionskraft Gerechtes Russland. Regierungsgegner, die einen Machtwechsel anstreben, hatten allerdings überhaupt keine Partei-Registrierung erhalten und waren von der Abstimmung ausgeschlossen.

Überraschend deutliche Kritik an der Führung in Moskau hatte am Vortag der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), in einem Interview von Deutschlandradio Kultur geäußert. "Putin ist kein Demokrat", sagte der Vize der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und prangerte einen "Rückfall in sowjetische Muster" an. Dabei kritisierte Schockenhoff vor allem das Vorgehen gegen die einzige unabhängige russische Wahlbeobachterorganisation. Golos war von Putin als "Judas" bezeichnet und wegen angeblichen Verstoßes gegen das Wahlrecht zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Gestern hatte Golos ebenso wie andere Oppositionelle von Manipulationen berichtet. So wurden Studenten beobachtet, die für 1500 Rubel (rund 35 Euro) an sogenannten Wahlkarussells teilnahmen - sie stimmten 30-mal in verschiedenen Wahllokalen ab. Rentner klagten über Einschüchterungen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte mit etwa 300 Beobachtern den Ablauf der Abstimmung beobachtet. Putin warf westlichen Regierungen vor, sich in die Wahlen seines Landes einmischen zu wollen.

Die deutsche Wahlbeobachterin und Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck von den Grünen sagte allerdings, dass sie bei ihren Besuchen in Moskauer Wahllokalen einen "korrekten Prozess" gesehen habe.