US-Amerikaner sind von ihren Politikern enttäuscht. Republikaner und Demokraten können sich im Schuldenstreit nicht einigen. Auch die Kritik an Obama wächst

Washington. Mit dem Scheitern der Verhandlungen zum Schuldenabbau im sogenannten super committee ist das Versagen der politischen Klasse in den USA nicht mehr zu leugnen. Gerade neun Prozent der amerikanischen Wähler, weniger als je zuvor, bescheinigen dem US-Kongress noch akzeptable Arbeit, 84 Prozent lehnen die Arbeitsverweigerung ihres Parlaments ab. Die ideologischen Gräben zwischen den beiden Parteien waren nie abgründiger, der Kompromiss, nicht zuletzt für die Anti-Etatisten der Tea Party, lautet Kapitulation. Präsident Barack Obama, der lange (viel zu lange, sagen linksliberale Kritiker) den Konsens mit den Republikanern suchte, ist nun offenbar entschlossen, vor den Präsidentenwahlen die Blockadehaltung der Opposition zu brandmarken.

Monatelang schauten die USA mit bangem Blick auf die Euro-Krise und bemängelten mangelnde Entschlossenheit und zu langsames Handeln - jetzt schaut die Welt auf Amerika. Das Scheitern des überparteilichen "Super-Komitees", ein Rezept gegen die galoppierenden Staatsschulden zu präsentieren, lässt alle Alarmglocken schrillen. Die "Weltmacht Nummer eins", die größte Volkswirtschaft erweist sich in der Finanzpolitik selbst als nicht handlungsfähig - kein angenehmes Signal für den Rest der Welt.

Was Rating-Agenturen und Occupy-Wall-Street-Demonstranten, Tea-Party-Aktivisten und Börsenmakler in Amerika auf kuriose Weise eint, ist die Erkenntnis, dass ihr politisches System der Checks and Balances, stets auf Kompromiss angewiesen, nicht mehr funktioniert. Mögen es die Republikaner weiter als das "beste System und Neid der Welt" feiern, es produziert einzig Stillstand und Verachtung. Auch bei dem gescheiterten "super committee", das aus jeweils sechs Senatoren bestand und fast drei Monate Zeit hatte - während es allenthalben versicherte, "Scheitern ist keine Option" -, fehlte der Korpsgeist in der Krise, den alte US-Politiker noch beschwören. Alle sechs Republikaner hatten das Steuersenkungsgelübde des erzkonservativen Lobbyisten Grover Norquist unterschrieben. Wie Hunderte ihrer Fraktionskollegen im Senat und im Repräsentantenhaus schwören die Unterzeichner, niemals - unter keinen Umständen - Steuern anzuheben. Sonst möge ihnen die rechte Hand abfallen. Wie sollten die sechs Demokraten also mit ihren durch den Schwur gebundenen Kollegen im "super committee" verhandeln? Indem sie auf ihre Forderung verzichten, die drastischen Kürzungen im Sozial- und Erziehungsetat mit Steuererhöhungen für die zwei Prozent der reichsten Amerikaner zu verbinden! Ganz einfach. Kein Jota wichen die Republikaner von dem Dogma "no tax raise" (keine Steuererhöhungen) ab. Es finden sich zwar kaum ernst zu nehmende Ökonomen, die diese einseitige Remedur für den überschuldeten Staatshaushalt verteidigen. Umso größer ist die Genugtuung bei den Predigern der reinen Lehre vom verfetteten, korrupten Staat, der geschlachtet gehört. Es stört die Ideologen nicht, dass laut Umfragen zwei Drittel der Amerikaner Steuererhöhungen für die Superreichen und das Stopfen von Schlupflöchern für Riesenunternehmen, die steuerfrei bleiben, befürworten. Acht von zehn Amerikanern hatten ein Scheitern des "super committees" erwartet; eine Mehrheit gab den Republikanern die Schuld.

Für jene aber ist Barack Obama der Beelzebub, der mit sozialistischer Arglist Amerika ruinieren will. Mit diesem Feind Obama ist, so glauben sie, kein Kompromiss möglich. Nur Siege wie bei den einseitigen Zugeständnissen des Präsidenten bei dem Poker um die Anhebung der Schuldendecke. Es kann sein, dass der Erfolg der Occupy-Wall-Street-Bewegung ein erneutes Einknicken der Demokraten im "Super-Komitee" verhinderte. Die Formel "Wir sind die 99 Prozent" gilt zwar bei rechten Ideologen als hetzerischer Klassenkampf, die Mehrheit der Bürger aber sieht das inzwischen anders. Als der Kabelsender CNN am Montag seine Zuschauer befragte, wie ein Scheitern der Verhandlungen noch zu verhindern wäre, antwortete eine deutliche Mehrheit: "Lasst sie scheitern, sie haben keine Rettungsversuche verdient. Wir werden diese unfähigen Kerle im November 2012 aus ihren Ämtern fegen."

Allein die Ankündigung des "super committees" kam einer Bankrotterklärung des Kongresses gleich: nämlich dem Eingeständnis, dass es im regulären politischen Prozess keine Chance auf Einigung gebe. Die Blockade des Parlaments, mit einer republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus und einer knappen Mehrheit der Demokraten im Senat, ist bis zu den nächsten Wahlen in Beton gegossen.

Im Senat haben die Republikaner durch die Dauerdrohung des Dauerredens (Filibuster) die erforderliche Mehrheit für die Demokraten auf 60 von 100 Stimmen erhöht. Was einst als Widerstand aus Gewissensgründen in Ausnahmefällen üblich war, ist Erpressungsroutine geworden. Vollständige Lähmung der Gesetzgebung ist die Folge. Und die Demokraten denken nicht daran, das undemokratische 60-Stimmen-Diktat zu bekämpfen: Demnächst könnten sie ja im Senat in der Minderheit sein. Auf ihre Revanche ist Verlass.

Doch auch Obama muss sich von besonnenen Leuten Kritik gefallen lassen. Michael Bloomberg, einst Republikaner, dann unabhängig, ist alles andere als ein Ideologe. Er warf dem Präsidenten vor, politische Führung zu verweigern. Er habe die Verhandlungen laufen und scheitern lassen, ohne Druck auszuüben, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Mag sein. Berater des Präsidenten halten dagegen, er habe mit Engelsgeduld drei Jahre lang Gemeinsamkeit mit den Republikanern gesucht. Bis zur Selbstverleugnung und Brüskierung der Basis der Demokraten. Irgendwann sei es auch für den Vernünftigsten genug. "In dieser Sache wird es kein einfaches Davonlaufen geben", zischt Obama, der sonst stets lächelt, in die Kameras.