Ausschreitungen auf dem Tahrir-Platz. Sieben Tote in Ägypten bei Demonstrationen gegen den regierenden Militärrat

Kairo. Der Tahrir-Platz in Kairo wurde zu einem Symbol der Freiheit. Jetzt regieren wieder Chaos und Gewalt in der ägyptischen Hauptstadt. Wenige Tage vor den Parlamentswahlen wird das Land von den schwersten Ausschreitungen seit Monaten erschüttert. Nicht nur in Kairo, auch in Alexandria, und Suez kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei. Bei den Protesten gegen den regierenden Militärrat kamen am Wochenende mindestens sieben Menschen ums Leben, mehr als 900 wurden verletzt.

Gestern Abend geriet die Lage in Kairo wieder außer Kontrolle. Ägyptische Soldaten und Polizisten steckten auf dem Tahrir-Platz Zelte von Protestierenden in Brand, zerstörten Transparente und gingen mit Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen gegen Tausende Menschen vor, die gegen den regierenden Militärrat unter Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi protestierten. Auch Schüsse fielen. Nach Angaben von Ärzten kamen bei den Auseinandersetzungen drei Menschen ums Leben. Sie seien vermutlich an Tränengas erstickt, sagte der Arzt Abdallah Abdelrahman, der ein Feldlazarett auf dem Tahrir-Platz im Zentrum der Hauptstadt leitet. Die Demonstranten warfen Steine auf die Sicherheitskräfte und leisteten heftigen Widerstand. Augenzeugen berichten, dass es ihnen gelang, die Polizei in umliegende Straßen abzudrängen. Angesichts der Krawalle kam die Übergangsregierung am Sonntag zu einer Krisensitzung zusammen. Am Abend erklärte sie, dass die Parlamentswahlen wie geplant zwischen dem 28. November und dem 10. Januar stattfinden sollten.

Der "vorsätzlich angeheizte" Konflikt habe lediglich das Ziel, die Wahlen zu verzögern oder ganz zu verhindern, hieß es aus dem Kabinett. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) appellierte an alle Seiten, von jeglicher Gewaltanwendung abzusehen. "Es ist von überragender Bedeutung, dass die in einer Woche anstehenden Parlamentswahlen in einem friedlichen und geordneten Umfeld stattfinden können. Damit würde Ägypten einen ersten wichtigen Schritt in Richtung Demokratie gehen", heißt es in einer Erklärung des Auswärtigen Amtes.

Die Lage war eskaliert, nachdem die Polizei einen Sitzstreik gegen den Militärrat auf dem Tahrir-Platz aufgelöste. Einige Dutzend Demonstranten hatten nach einer von Islamisten dominierten Großkundgebung am Freitag Zelte aufgebaut, um auf unbefristete Zeit gegen die geplanten Verfassungsleitlinien der Übergangsregierung zu protestieren. Diese sollen unter anderem die Macht des Militärs absichern.

Nach der Räumung strömten am Sonnabendabend immer mehr Aktivisten sämtlicher politischer Gruppierungen ins Stadtzentrum und versuchten, den Platz zurückzuerobern. Die Demonstranten skandierten Parolen gegen das Innenministerium und das Militär, warfen Steine. Die Polizei setzte Tränengas ein. Ein 23-jähriger Mann kam nach Angaben des Gesundheitsministeriums bei den Krawallen ums Leben. Aktivisten beklagten sich über den Einsatz von Gummigeschossen, was von Regierungsseite dementiert wurde.

Das Gesundheitsministerium wies zudem darauf hin, dass auch mehr als 40 Angehörige der Sicherheitskräfte verletzt wurden. Hacker griffen die Internetseite des ägyptischen Staatsfernsehens an, um damit gegen die einseitige Berichterstattung über die Ausschreitungen in Kairo zu protestieren.

Am frühen Sonntagmorgen schossen Heckenschützen in eine Menge, die vor dem Gebäude des Sicherheitsdienstes demonstrierte, wie Augenzeugen der Zeitung "Al-Ahram" berichteten. Dabei sei ein Mann getötet worden. Zunächst war von zwei Toten die Rede. Augenzeugen gaben an, dass scharfe Munition verwendet wurde. Das Innenministerium dementierte. Um gegen den Militärrat zu protestieren, waren bereits am Freitag Zehntausende Menschen Aufrufen der Muslimbruderschaft und der radikalen Salafistenbewegung gefolgt und in Kairo und Alexandria auf die Straße gegangen. Auch Angehörige linker und liberaler Gruppen schlossen sich dem friedlichen Protest an.

In Ägypten wird vom 28. November an in drei Phasen ein neues Parlament gewählt. Anschließend soll das Land eine neue Verfassung bekommen. Der Militärrat hatte nach dem Sturz von Husni Mubarak die Macht übernommen. Der Tahrir-Platz in Kairo war das Zentrum der landesweiten Massenproteste, die am 11. Februar zur Entmachtung des Präsidenten führten. Der Militärrat hat versprochen, die Macht nach den Präsidentschaftswahlen Ende nächsten oder Anfang übernächsten Jahres an eine gewählte Regierung zu übergeben, aber bislang kein genaues Datum genannt. Den Demonstranten dauert das zu lange. Sie fordern eine Machtübergabe direkt nach dem Ende der Präsidentschaftswahlen im März.

Auch in Marokko kam es gestern in der Hauptstadt Rabat und in Casablanca zu Protesten. 7000 Menschen riefen zum Boykott der Parlamentswahlen am Freitag auf, die König Mohammed VI. um ein Jahr vorgezogen hatte. Die Demonstranten forderten nach dem Beispiel Ägyptens und Tunesiens eine "marokkanische Revolution". Auf einem Protestbanner war einer der Leitsätze des Arabischen Frühlings zu lesen: "Das Volk will den Sturz des Regimes." (HA)