Große Ratsversammlung soll über eine strategische Partnerschaft mit dem Westen entscheiden. Karsai fordert Verzicht auf umstrittene “Night Raids“

Hamburg/Kabul. Jeglicher Kritik trat Afghanistans Präsident Hamid Karsai gleich zu Beginn der Großen Ratsversammlung entgegen: "Bei dieser Dschirga geht es nur um Partnerschaft und Frieden, um sonst nichts." Ein Anliegen, das auch die Menschen in dem Bürgerkriegsland zehn Jahre nach dem Beginn der internationalen Afghanistan-Mission durchaus teilen dürften. Darum sollen die Stammesvertreter auf der viertägigen Versammlung darüber beraten, welche Rolle die USA in Zukunft in ihrem Land spielen sollen, wenn der Großteil der ausländischen Truppen abgezogen sein wird. Außerdem wollen die Delegierten darüber sprechen, ob und wie die Regierung mit den radikalislamischen Taliban Friedensgespräche führen soll.

Bereits vor der Eröffnung der Versammlung hatte der Regierungschef für Unmut gesorgt, als er von einer "historischen beratenden Dschirga" sprach. Er machte damit klar, dass er die Beschlüsse der Versammlung nicht für bindend erachtet, obwohl das in der Verfassung vorgesehen ist. Nicht einmal eine Tagesordnung hatte die Regierung für das Treffen für notwendig befunden.

Und so kam Karsai auch gleich zum Punkt, anstatt sich mit den 2000 Stammesvertretern aus dem ganzen Land auf weitere Diskussionen etwa über seine eigenen politischen Ambitionen einzulassen. "Wir wollen nationale Souveränität und wir wollen sie heute", sagte er zum Thema der afghanisch-amerikanischen Beziehungen - und schloss auch gleich die Bedingungen an. Ein Ende der nächtlichen Angriffe ausländischer Spezialkräfte sei eine Voraussetzung für eine strategische Partnerschaft mit den USA. Sollten die USA nach dem für 2014 geplanten Abzug der Nato-Kampftruppen Basen in Afghanistan unterhalten wollen, müssten sie die im Volk verhassten "Night Raids" stoppen. Der Präsident verglich Afghanistan mit einem Löwen, "der es nicht mag, wenn nachts jemand kommt und seine Kinder wegnimmt". Karsai kritisiert die im Volk verhassten nächtlichen Angriffe gegen Verdächtige seit Langem. Die Nato hält sie dagegen für eines der erfolgreichsten Mittel im Kampf gegen die Taliban.

Karsai forderte weiter, ausländischen Truppen sollte es künftig nicht mehr erlaubt sein, Gefangene zu nehmen. Die Gefängnisse im Land sollten von den Afghanen kontrolliert werden. Von den USA verlangte er eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Das Verhältnis müsse das eines zwischen ebenbürtigen Staaten sein, sagte Karsai. Die USA dürften sich nicht in interne Angelegenheiten Afghanistans einmischen.

Eigentlich sollten die Verhandlungen über ein Abkommen mit den USA bereits vor dem Beginn der Loja Dschirga abgeschlossen sein. Inzwischen gilt es aber als unwahrscheinlich, dass ein Entwurf bis zur Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember in Bonn fertig ausgehandelt sein wird. Dann will die internationale Gemeinschaft die Weichen für die Zusammenarbeit mit Afghanistan nach dem geplanten Truppenabzug stellen.

"Wenn alle Bedingungen erfüllt sind, dann sind wir bereit zu unterzeichnen", sagte Karsai mit Blick auf den Vertrag mit Washington. Nachbarstaaten wie dem Iran versicherte er, das Abkommen werde sich nicht negativ auswirken. Von afghanischem Boden werde keine Bedrohung ausgehen.

Das letzte Wort über das Abkommen mit den USA sollen nach Karsais Angaben die beiden Kammern des Parlaments haben. Geplant sind außerdem strategische Partnerschaften mit Frankreich, Großbritannien, der EU und der Nato. Bereits unterzeichnet ist ein entsprechendes Abkommen mit Indien. Bislang nicht vorgesehen ist eine strategische Partnerschaft mit Deutschland, obwohl die Bundesrepublik mit mehr als 5000 Soldaten eine der wichtigsten Truppensteller- und Gebernationen in Afghanistan ist.

Trotz der permanenten Bedrohung durch Anschläge der Taliban betonte Karsai die Fortschritte, die zehn Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes erreicht worden seien. Er räumte zugleich aber "ernste Probleme" ein. "Wir sind noch nicht aus der Dunkelheit heraus. Wir sind noch nicht aus den Gefahren heraus", sagte er. "Wir haben unser wichtigstes Ziel nicht erreicht, welches Frieden ist." Die Delegierten sollten nun beraten, wie der Friedensprozess weitergehen solle. Solle die Regierung künftig Gespräche mit den Taliban oder mit Pakistan führen? In dem Nachbarland wird die Taliban-Führung vermutet, zudem wird der pakistanische Geheimdienst ISI verdächtigt, afghanische Aufständische zu unterstützen.