In Tunesien herrscht die alte Garde weiter. Die Menschenrechtlerin Sihem Bensedrine war ihr Opfer

Hamburg. Mit leiser, sanfter Stimme spricht Sihem Bensedrine von ihrer Heimat. Mehr als zwei Jahrzehnte lang hat sich die zierliche Journalistin dem Regime in Tunesien entgegengestemmt. Sie hat Menschenrechtsverletzungen angeprangert und mit gar nicht leiser Stimme eine freie Presse gefordert. Nun sieht es so aus, als habe die Bürgerrechtlerin ihre Ziele erreicht: Der Despot Ben Ali ist gestürzt, die ersten freien Wahlen haben Ende Oktober stattgefunden. "Ein beinahe heiliger Moment war das für mich", erinnert sich die 61-jährige Tunesierin.

Dass die Islamistenpartei Ennahda diese Wahlen gewonnen hat, hat in Europa die Sorgen um die demokratische Entwicklung der arabischen Staaten wachsen lassen. Bensedrine widerspricht: "Die Demokratie ist für die politische Klasse Tunesiens noch völlig neu - egal ob für Religiöse oder für Laizisten." Auch den Islamisten dürften nun Ausrutscher passieren. "Wenn die Ennahda sich dem Rechtsstaat und den demokratischen Institutionen unterwirft, kann auch aus ihr eine demokratische Kraft werden."

Wovor sich Tunesien vielmehr fürchten müsse, seien die Anhänger des früheren Herrscherclans. "Die alte Garde", nennt Bensedrine sie. Sie kontrollierten weiterhin wichtige Teile des Staates, der Medien und der Wirtschaft. "Noch immer arbeitet die politische Polizei, noch immer verbreiten die Medien Fehlinformationen. Auch gegen mich fährt die politische Polizei immer noch Kampagnen."

Unter Ben Ali war die Journalistin schon einmal verhaftet, gefoltert und geschlagen worden. Selbst ihre Kinder wurden von den Schergen des Regimes bedroht. Auch heute könne sich ein Fall wie ihrer wiederholen, glaubt sie. "Der Polizeiapparat muss dringend reformiert werden. Auch wenn Folterungen heute nicht mehr zum Alltag gehören wie früher, gibt es sie noch. Und es gibt weiterhin willkürliche Festnahmen." Viele, die während der Revolution für die Diktatur gemordet hätten, seien nie bestraft worden. "Aber wir bleiben wachsam und werden weiterhin auf diese Missstände aufmerksam machen."

Am Dienstagabend hat Human Rights Watch Sihem Bensedrine in Hamburg mit dem "Alison Des Forges"-Preis geehrt. Es ist die höchste Auszeichnung, die die Menschenrechtsorganisation für den Einsatz für die Menschenrechte vergibt. Bei Bensedrine ist es wohl nicht nur ein Preis für Geleistetes. Es ist auch eine Investition in die Zukunft eines Landes.